Les Dunes Electroniques (Foto: Presse)
Von all den illustren Orten, an denen Musikfestivals inzwischen stattfinden, ist die Wüste definitiv einer der unwirtlichsten wie ausgefallensten. Klar, manche Sets wie Carl Craigs schon jetzt denkwürdiger Boiler Room muten nur auf Gletschern maximal unangenehm an, für alles andere bietet die Sahara aber einen denkbar spektakulären Schauplatz. Deren Ausläufer erstrecken sich bis zu den Städten Nefta und Tozeur, in deren Nähe das Les Dunes Electroniques beheimatet ist. Seit 2015 zu einer Pause gezwungen – die Veranstalter hatten Pech mit der Witterung, wer rechnet in der Wüste auch mit Regenfällen –, sollte das Festival eigentlich schon im September steigen, was der Tod des Präsidenten Essebsi, die nachfolgende Staatstrauer und die vorgezogenen Neuwahlen verhinderten.
Ein Ersatztermin war trotzdem schnell gefunden: Für Mitte November planten die Organisatoren den 30-stündigen Tanz in den Dünen neu, wohlgemerkt bei deutlich niedrigeren Temperaturen. Leider musste man aufgrund der Neuterminierung auch beim Line-Up Abstriche machen; Headliner wie etwa Axel Boman sagten ab, nichtsdestotrotz spielten Acts wie Luciano, Apollonia, Stimming oder Konstantin Sibold im sandigen Nirgendwo – das eigentlich kein Nirgendwo ist. Schließlich bewirbt Les Dunes Electroniques seinen Standort mindestens genauso sehr wie sein musikalisches Programm; die beiden Bühnen flankieren Teile der Kulisse Tatooines, dem Wüstenplaneten aus der Star Wars-Saga, auf dem Anakin und Luke Skywalker aufwuchsen und der der tunesischen Stadt Tataouine nachempfunden ist.
Dementsprechend setzt sich auch das Publikum zusammen. Während ein Teil der Besucher*innen, die gefühlt hauptsächlich aus Nordafrika und Frankreich anreisen, vor allem wegen der Musik zu kommen scheint, mischen sich darunter auch eingefleischte Star Wars-Jünger. Auch Hybride erspäht man im Sand: In Ekstase geschwungene Laserschwerter, zappelnde Darth Vader-Masken oder der unverwüstliche Klonkrieger – alles tummelt sich vor den Bühnen. Die Verkleidungen erfüllen nebenbei auch einen ganz praktischen Zweck: sie schützen vor dem Sand, den der Wind immer wieder aufwirbelt, der sich in Augen, Nase und Mund festsetzt, gegen die nächtliche Kälte statten sich viele Besucher*innen mit Burnus aus, weiten, filzigen Kapuzenmänteln in nordafrikanischer Tradition.
Das Star Wars-Dorf selbst wirkt dann doch etwas maroder als angenommen. Die Gipsverkleidung bröckelt an manchen Stellen bedenklich, zu starke Bässe des omnipräsenten Tribalsounds, der hier den Makel der Cultural Appropriation ausnahmsweise abstreifen kann, wirken wie eine potenzielle Gefahr. Rund ums Gelände spazieren Wüstenbewohner mit ihren Dromedaren und bieten kurze Ritte und Selfies an. Im Eingangsbereich verkaufen Einheimische Datteln, selbstgemachte Devotionalien und bereiten Sandbrot zu. Der Eingangsbereich verdeutlicht schon beinahe plakativ, dass es hier offenkundig ein Anliegen ist, die Bevölkerung vor Ort zu integrieren und nicht vor die Gitterzäune zu verweisen. Diese Bestrebungen hätten gerne noch eifriger verfolgt werden können, ein ausgearbeitetes Konzept, das die Tunesier vor Ort stärker mit einbezieht, wäre wünschenswert.
Das eigentliche Festival hat am Samstag, dem ersten von zwei Tagen, einen denkbar ungünstigen, stürmischen Start. Die liebevoll aufgebauten Bars ächzen angesichts der Böen, die sich immer wieder durch den ungeschützten Talkessel schieben, Künstler*innen wie Besucher*innen greifen zur Vollvermummung, um ihre Gesichter vor den lästigen Sandkörnern zu schützen. Der Sturm zeichnet auch dafür verantwortlich, dass vorerst nur eine der beiden Bühnen freigegeben ist: Auf die malerisch betitelte Scène Sunrise fielen Teile einer Stahlkonstruktion, die Sicherheit der DJs geht vor. Aufgrund der widrigen Bedingungen will sich tagsüber also noch keine richtige Atmosphäre einstellen, viele der Besucher*innen ziehen sich ins großräumige VIP-Zelt zurück, das während des kompletten Festivals einen hohen Andrang vermeldet. Überhaupt scheint das Verhältnis von VIPs zu zahlender Kundschaft ungewöhnlich ausgeglichen zu sein.
Abends bessert sich die Lage dann, nacheinander bespielen Adam Port, Luciano, Konstantin Sibold und Nicolas Lutz die Scène Sunset mit eigenwilligen Tech-House-Entwürfen und sorgen dafür, dass die Kälte zumindest temporär verschwindet. Anschließend folgt ein Kuriosum: Kein Geringerer als der tunesische Tourismusminister entert die Scène Sunrise und hält eine ausgiebige Ansprache – mitten während des Sets. Anschließend lässt dieser es sich nicht nehmen, für die Journalist*innen während Lucianos Slot noch ein Abendessen in den Dünen auszurichten. Spätestens hier wird klar, welchen Stellenwert das Les Dunes Electroniques nicht zuletzt für die Regierung hat. Natürlich fungiert die Veranstaltung auch als Vehikel, um ein offenes, musikbegeistertes Tunesien zu propagieren.
Während Konstantin Sibolds Set von 0 bis 2 Uhr erreicht die Kälte dann einen weiteren Höhepunkt. Dem Stuttgarter gelingt es dabei mit einer relativ düdeligen Selektion nur mäßig, die Crowd bei der Stange zu halten, Nicolas Lutz’ Auftritt im Anschluss fällt leider dem Shuttlebus zurück ins Hotel zum Opfer. Der Sonntag steht dann unter einem besseren Stern. Julienne Dessagne, ehedem zusammen mit Sascha Funke als Saschienne ein Begriff, heute mit dem irreführenden Alias Fantastic Twins unterwegs, singt in passend-schmalziger Manier während ihres Live-Sets dem Sonnenuntergang entgegen. Archie Hamilton serviert den erwartet funktionalen House, der getrost als ein musikalisches Highlight durchgeht. Zwei Drittel von Apollonia beschließen dann Les Dunes Electroniques mit einem starken Set, das bis zu den letzten Klängen um 21 Uhr zu unterhalten weiß und sich dem szenischen Setting mit stilsicherem, melodischem House anpasst. Routine zahlt sich eben auch auf Tatooine aus.
Das Fazit zum Les Dunes Electroniques ist letztendlich dennoch ein ambivalentes. Mit vielen Ambitionen angetreten, muss das Festival für eine etwaige nächste Ausgabe an vereinzelten Stellschrauben nachbessern. Das beginnt bei der Logistik, die einzelne Besucher*innen an den Bars zur Verzweiflung trieb. Auch die sanitären Anlagen, vor Wind und Sand nur mit spartanischen Tüchern geschützt, sind mindestens ausbaufähig. Positiv fiel auf, dass die Organisatoren mit der DJ Academy For Girls, die in Gestalt von DJ Shida und DJ Alpha die beiden Opening Slots des Festivals übernahm, zumindest versucht waren, regionalem Talent eine Bühne zu bieten und etwas ähnliches wie Chancengleichheit zu wahren. Dass die üblichen Zugpferde und Vertreter des einschlägigen Bummelsounds herhalten mussten, um das Festival zu etablieren und Leute anzuziehen, ist dabei so schade wie selbstverständlich.