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Lukas Drevenstedt: „Clubkultur kann nicht gerettet werden wie ein großes Opernhaus”

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Fotos: Till Häselbarth (Lukas Drevenstedt)

Die Berliner Clubcommission, der größte Verband aus Club- und Kultur- Veranstalter*innen im Live-Bereich, hat im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe eine umfassende Studie zur Situation des Berliner Nachtlebens durchgeführt. Der Ergebnisbericht der Untersuchung erschien vor kurzem als kostenloser Download auf der Website der Clubcommission und wurde auf der Most Wanted: Music Convention am 6. und 7. November in Berlin vorgestellt. Wir informierten bereits über die Kernpunkte der Studie: Demnach zeigt sich, welche immense Bedeutung der Berliner Clubkultur für die Gesellschaft und Wirtschaft zukommt. Aus aktuellem Anlass haben wir uns mit dem Geschäftsführer Lukas Drevenstedt zu einem Interview getroffen. Das Thema ist mittlerweile bis auf die politische Ebene vorgedrungen.

Hallo Lukas. Könntest du zum Einstieg noch einmal zusammenfassen, wie ihr die Berliner Clubstudie durchgeführt habt?

Im Jahr 2017 hat die Clubcommission mit verschiedenen Expert*innen aus Theorie und Praxis eine Vorstudie erarbeitet, in der es darum ging, ob sich Clubkultur als Phänomen überhaupt fassen lässt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in die aktuelle Studie zur Berliner Clubkultur geflossen und bildeten die Grundlage für die Entwicklung der Fragebögen und die Auswahl der Befragten. Es gab jeweils Fragebögen für Clubbetreiber*innen, Veranstalter*innen, sowie für Besucher*innen. Die Befragungen wurden zwischen Oktober 2018 und Januar 2019 von der Beratungs- und Forschungsgruppe Goldmedia durchgeführt.

Ihr habt viele unterschiedliche Erkenntnissen gesammelt, die sich alle im Detail in der PDF nachlesen lassen. Was waren die drei Ergebnisse, die dich am meisten überrascht haben?

Mich hat besonders verblüfft, wie kulturaffin Clubbesucher*innen sind. Über die Hälfte der Befragten nimmt mindestens einmal im Monat oder häufiger auch andere kulturelle Angebote war. 86 Prozent geben an ins Kino zu gehen – soweit, so wenig überraschend. Aber wer hätte gedacht, dass die Hälfte der Clubbesucher*innen auch angibt, jeweils ins Theater und ins Museum zu gehen? Immerhin 18 Prozent gehen sogar in die Oper! Eine zweite überraschende Erkenntnis ist, dass in der Clubkultur Bühnen für tausende Künstler*innen geschaffen werden. Die schiere Anzahl von über 280 professionellen Clubs und Veranstalter*innen deutet bereits an, dass einiges in Berlin los ist. Auf knapp 58.000 Veranstaltungen spielen pro Jahr etwa 70.000 Künstler*innen, was die Bedeutung von Clubs als Bühnen für Kulturschaffende sehr deutlich unterstreicht.

Zwei Drittel des Club-Publikums wohnt in Berlin. Das Durchschnittsalter beträgt 30 Jahre und intensives Musikerleben und Freund*innen treffen sind die häufigsten Gründe für den Clubbesuch.

Lukas Drevenstedt, Clubcommission

Nebenbei konnten wir feststellen, dass immerhin ein Drittel der Veranstalter*innen seit mehr als zehn Jahren am gleichen Ort aktiv ist. Clubs sind keine Eintagsfliegen!
Und der dritte Fakt: Das Publikum ist eine Mischung von Clubgänger*innen aus Berlin und dem Rest der Welt. Manche Leute behaupten, in den Clubs seien wahlweise nur noch Tourist*innen anzutreffen, nur noch junge Leute oder nur noch Drogen konsumierende Hedonist*innen. Wir haben Erkenntnisse gesammelt, die alle drei Behauptungen widerlegen. Knapp zwei Drittel des Club-Publikums wohnt in Berlin. Das Durchschnittsalter beträgt 30 Jahre und intensives Musikerleben und Freund*innen treffen sind die häufigsten Gründe für den Clubbesuch.

Als Geschäftsführer der Clubcommission und langjähriger Veranstalter: Was ist dein Eindruck, wie hat sich die Szene in Berlin verändert?

Es ist eigentlich fast unmöglich da genaue Prognosen abzugeben. Meistens ist es geschätzt, zum Beispiel basierend auf unseren Mitgliederzahlen. Das könnte man als Indikator nehmen. Wir haben seit Jahren steigende Mitgliederzahlen. Es gibt immer mehr Veranstaltungsorte, die sich als Clubs verstehen und immer mehr Kollektive, die in diesem Rahmen Veranstaltungen machen wollen. Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass Berlin dafür so bekannt ist und Leute genau dafür herkommen. Auch aus dem internationalen Kontext: Aus Südamerika, aus Australien, aus Afrika. Gleichzeitig sind immer weniger Räume da. Und das hat zur Folge, dass Leute wieder mehr in den öffentlichen Bereich und auf Graubereiche ausweichen. Diese informelle Szene, die schwer messbar ist, ist nach wie vor groß.

Ein Club ist ja auch nicht gleich ein Club.

Ja, wir haben eine Methode entwickelt, die die Auseinandersetzung mit Clubkultur versachlicht. Sie besteht aus drei Schritten: Im ersten Schritt geht es darum zu verstehen, was ein Club überhaupt ist – ein geschützter Ort mit musikalischem Programm und einer eigenen Community, an dem man sich zum Musikhören, Tanzen und zum Austausch trifft. Im zweiten Schritt geht es darum, was die Qualität der Clubkultur differenziert: Wenn wir den Anspruch erheben, dass Clubs so etwas sind wie Theater oder Museen – also ernstgenommen werden – dann reicht es nicht, einfach zu sagen: „Wir sind cooler als ihr!“ Der dritte Schritt bezieht sich darauf, wie Clubkultur zustande kommt. Um diese objektive Beurteilung herstellen zu können, gibt es verschiedene Maßstäbe, die man anlegt. Das ist einmal die ästhetische Betrachtung: Wenn du sagst, „unser ästhetisches Profil ist das beste Techno-Booking”, dann ist das der Kontext, in dem du mit anderen Venues verglichen wirst. Du kannst auch sagen: „Wir sind der Club mit der krassesten Architektur”. Dann ist das der Anspruch.

Die nächste Dimension ist die soziale: Einige Berliner Clubs nehmen sich vor, Räume zu erschaffen, in denen alle Besucher*innen inklusiv feiern können. Dann ist das der Maßstab, an dem sie gemessen werden. Die dritte Dimension ist die ökonomische. Die funktioniert noch einmal etwas anders. Ein befreundetet Clubbetreiber hat mir erzählt, dass bei ihm viele Mitarbeiter*innen gekündigt haben. Die Leute traf er dann alle in einem anderen Laden wieder. Sie wurden dort schlichtweg besser bezahlt. Wenn man 20 Jahre einen Night-Management-Job gemacht hat, aber dann irgendwann merkt, dass man davon nicht mehr leben kann, kann man mit dem Wissen auch in einem anderen Laden arbeiten. Der neue Club macht vielleicht nebenbei ein paar Hochzeiten und Corporate Events. Das spiegelt dann nicht mehr unbedingt diesen ästhetischen und sozialen Anspruch wieder, dafür aber einen ökonomischen.

Die Clubstudie spricht von einem „Dreieck” aus ästhetischen, sozialen und ökonomischen Faktoren. Es geht also um ein Gleichgewicht in der Szene.

Ja, sonst hast du es immer, dass sich Leute gegenseitig ausspielen. Die einen sagen dann: „Wir wollen nicht in die gleiche Schublade gesteckt werden wie die, weil vom Programm her, überzeugt uns das nicht und da gehen eh nur Massen hin”. Ja, aber es ist trotzdem ein Club und für die gesamte Clublandschaft ist es auch wichtig, solche Läden zu haben. Genau wie jede Großstadt auch Boulevard-Theater, Revue-Bühnen und Musicals braucht.

Ein Club ist eher wie ein Theater oder wie eine Konzerthalle, als wie ein Stripclub oder eine Spielhalle.

Lukas Drevenstedt

Aktuell ist ein Antrag der Linken und der Grünen im Bundestag gelandet. Viele der Punkte waren deckungsgleich mit den Forderungen eurer Studie. Was sind erste wichtige Schritte zur Entlastung der Szene?

Wir brauchen eine Politik, die bereit ist sich damit auseinanderzusetzen, dass Clubkultur nicht gerettet werden kann, wie ein großes Opernhaus. Man kann nicht einfach sagen: „So, ihr kriegt jetzt ein großes Rock-Probe-Zentrum” und damit sind alle Probleme gelöst. So funktioniert Politik im Bereich von Clubkultur nicht. Es ist sehr dynamisch und kleinteilig. Und Clubs müssen unabhängig sein. Die Kulturpolitik hat hier die Aufgabe Rahmenbedingungen zu verbessern – nicht selbst eigene Angebote zu schaffen. Das können Kulturschaffende selbst am Besten. Ein Beispiel, das uns gerade beschäftigt: Warum sind Clubs automatisch Vergnügungsstätten? Das ist eine Frage der Rechtsprechung aber auch eine politische Frage. Das wurde irgendwann entschieden und ist so nicht mehr zeitgemäß. Ein Club ist ein Kulturort. Eine Kulturstätte. Und das müssen wir jetzt quasi durch einen medialen Diskurs aushandeln. Was dann im Verwaltungsrecht umgesetzt wird, das kommt dann danach. Aber erst einmal muss klar sein: Ein Club ist eher wie ein Theater oder wie eine Konzerthalle, als wie ein Stripclub oder eine Spielhalle.

Was sind denn die konkreten Nachteile, wenn Clubs als Vergnügungsstätten gelten?

Die Folgen sind beispielsweise, dass man Clubs in bestimmten Gebietskategorien gar nicht aufmachen kann oder nur mit Ausnahmegenehmigung. Warum soll es nicht möglich sein, einen Club standardmäßig im Industriegebiet öffnen zu können? Das ist doch ideal. Da ist doch niemand, der sich gestört fühlen würde. Und selbst in einem Wohngebiet. Wenn der Club so gebaut ist, dass da gar kein Schall emittiert werden kann, warum soll das kategorisches ausgeschlossen werden? Ein anderer Faktor ist, dass sich durch eine Anpassung die Zuständigkeiten seitens des Amtes auf weniger Ressorts beschränken würden. Entscheidungen rund um Clubs würden damit einfacher werden.

Und zum Thema Verdrängung, das laut eurer Studie die Sorge Nummer eins für alle Clubs ist?

Das ist wirklich komplex. Du bekommst als Club in der Regel nicht so lange Mietverträge. Du bekommst eine Verlängerung für ein Jahr, wenn du Glück hast, oder für fünf, wenn du sehr viel Glück hast. Aber manche Clubs hangeln sich auch von Monat zu Monat und du kannst jederzeit rausfliegen. Und die Miete kann auch jederzeit erhöht werden. Wir brauchen ein sozialeres Gewerbemietrecht, wo ähnliche Maßstäbe gelten wie auch im Wohnungsrecht. Das Problem ist aber, wenn man jetzt sagt, wir brauchen einfach ein sozialeres Gewerbemietrecht mit Kündigungsschutz für ein Jahr, dann hätte das natürlich zur Folge, dass du auch nicht so einfach einen neuen Mietvertrag bekommst. Wenn du einmal eine*n Gewerbemieter*in hast, wirst du den*die ja nicht mehr los. Und deswegen ist auch nicht ganz klar, ob das der goldene Weg ist. Das ist ein großes Problem. Da muss man eben auch gucken, inwieweit man den Staat einbinden kann. Ein Theater zahlt ja auch keine Miete, das zahlt der Staat. Vielleicht gibt es auch so eine Variante, wie man einen Fond einrichten kann, aus dem dann Clubs subventioniert werden können, in Bezug auf die Miete. Um das Clubsterben zu verhindern.

Dazu eine Anschlussfrage, weil ich gesehen habe, dass du eine Zeit lang in Amsterdam gelebt hast. Da ist es so, dass die Politik, zum Beispiel im Fall von De School, gezielt mit den Clubs interagiert. Kann sich Berlin das System möglicherweise zum Vorbild nehmen?

Amsterdam ist uns in vielem voraus aber in diesem Punkt sind wir ehrlich gesagt schon weiter. Dort läuft das rein über eine ökonomische Ebene. Dieses Büro Broedplaatsen und der*die Nachtbürgermeister*in sind eigentlich ein kleiner Teilbereich dessen, was wir schon machen. Wir arbeiten ja auch mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft zusammen, was jetzt vielleicht das Äquivalent wäre. Außerdem stehen wir in engem Kontakt mit der Senatsverwaltung für Kultur und mit der Senatsverwaltung für Justiz, zum Beispiel im Fall von Antidiskriminierung. Oder mit der Senatsverwaltung für Gesundheit, zum Thema Drug Checking. Wir sind da eigentlich schon sehr breit aufgestellt. Und im Gegensatz zur Szene in Amsterdam sind wir eine demokratisch legitimierte Vertretung mit 250 Mitgliedern und 15 ehrenamtlichen Vorständen. Die bauen dort gerade mühsam eine Stiftung auf, um sich unabhängiger zu machen und den Rückhalt in der Szene weiter zu erhöhen. Was bei uns alles noch etwas schwieriger macht, ist der Umstand, dass Berlin nicht nur eine Stadt ist, sondern auch noch ein Land und dadurch die Bezirke noch mal wie eigene Städte sind. Wir haben also quasi 12 Städte in der Stadt. Und auf der kommunalen, also der Bezirksebene, werden die ganzen Genehmigungssachen entschieden. Da wird entschieden, welche Lärmauflagen es gibt. Da mischen Umweltamt und Gewerbeamt mit.

Habt ihr dennoch das Gefühl, dass der Bericht bei der Politik angekommen ist? Dass etwas in Fahrt kommt? Oder seht ihr den Aktionsbedarf eher in der Szene?

Die Studie findet schon Anklang. Aber es ist gar nicht als politische Handreichung gedacht. Es ist eine Grundlage für das, was langfristig in den nächsten Jahren passieren soll. Für uns alle im Prinzip, um damit argumentieren zu können. Ein Beispiel dafür ist der Hamburger Kulturfond, der dazu dient Programme zu fördern und die Clubs in ihrem Management zu unterstützen. Da werden dann zum Beispiel relativ unbürokratisch GEMA-Kosten erstattet. Wenn du bestimmte Kategorien, bestimmte Aspekte erfüllst als Club, dann kannst du die einreichen und bekommst die Kosten erstattet. Das wäre für einen kleinen Club relevant, genau wie für einen Großen. So etwas haben wir hier noch nicht. Das könnte gut über die Kulturpolitik laufen.

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