Das mit dem Crowdpleaser könnte man aber auch positiv auslegen: Wie kaum ein anderer verstehst du es, Firmenpartys mit gesetztem Publikum und kleine Underground-Clubs gleichermaßen zum Überkochen zu bringen – ohne dass es bemüht wirkt.
Das klingt jetzt sehr klischeehaft, aber Musik ist für mich die universelle Sprache der Liebe. Du hörst einen gewissen Song, und er macht dich glücklich. Manche DJs wollen das nicht ganz wahrhaben. Solche nämlich, die einen unveröffentlichten Dario-Zenker-Track der Selbstbestätigung wegen auflegen. Oder solche, die sich am DJ-Pult wie Snobs benehmen und für eine fiktive Geschmackspolizei spielen. Musik ist für alle da!
Dazu passt ein Zitat von dir aus einem früheren Interview, in dem du sagtest, heimliche Lieblingsplatten seien ein rotes Tuch für dich.
Dabei bezog ich mich auf einen Tweet von Bok Bok, in dem er sinngemäß meinte: „Guilty Pleasures gibt’s gar nicht. Warum sollte ich mich dafür entschuldigen, dass mir ein Song gefällt?“ Genauso sehe ich das auch. Soll ich mich dafür schämen, dass ich Womack & Womack auf Jeff Mills mixe? Du wirst als DJ gebucht, um Leuten eine gute Zeit zu bereiten. Wenn du sie nebenher musikalisch ein wenig erziehen kannst, ist das schön. Aber in erster Linie geht es darum, Platten ineinanderzumixen und dadurch etwas Neues zu erschaffen. Ein Energielevel aufzubauen, das Leute mitreißt. Zu viele DJs glauben, dass ihr Job etwas mit Coolness zu tun hat.
Würde dir dein DJ-Partner Seth Troxler da zustimmen? Im Groove-Interview im vergangenen Herbst meinte er, dass für ihn als DJ die künstlerische Integrität klar über der Befriedigung des Publikums steht.
Seth weiß selbst am besten, dass im Normalfall beides möglich ist. Vielleicht nicht auf riesigen EDM-Festivals, aber in unserem Rahmen schon. Seth und ich legten gerade letztens gemeinsam in Brasilien auf und es war großartig. Generell spiele ich lieber back-to-back als alleine. Weil ich so mehr Zeit habe, um meinen nächsten Track auszuwählen. Wenn ich mit jemandem wie Seth zusammen spiele, fühle ich mich wie mit einem Fuß im Publikum. Ich fiebere mit, ich gehe ab, wenn mir sein Track gefällt.
Wo würdest du dich eigentlich selbst als DJ verorten?
Ich war immer ein Nomade. So kuschelig es in manchen Szenen auch sein mag, ich wollte nie Teil einer Bewegung sein. Um zu vermeiden, in eine Schublade gesteckt zu werden. In den vergangenen Jahren wurde ich leider immer öfter als Ibiza-DJ wahrgenommen. Prinzipiell habe ich damit kein Problem, weil ich im Sommer jeden Montag im DC-10 spiele. Aber es passt einfach nicht ganz, weil ich sicher nicht so auflege, wie man es von einem typischen Ibiza-DJ erwarten würde.
2015 hast du an die 150 Shows gespielt, kleinere Gigs nicht mitgerechnet. Das ist schon sehr beachtlich.
Deshalb hab ich mir vor einem Jahr auch einen Manager zugelegt. Früher fand ich es irgendwie peinlich, dass ein DJ einen Manager hat. Auch deshalb habe ich diesen Schritt so lange wie möglich hinausgezögert. Aber irgendwann wurde mir das Organisatorische zu viel. Ich verpasste Gigs, weil ich mich doppelt einteilte. Mein Agent buchte mir Gigs und ich halste mir selbst obendrein noch kleine Partys von Freunden in der gleichen Nacht auf. Ich möchte den DJ-Job mindestens bis 60 machen. Deshalb wurde es Zeit, etwas Ordnung in meinen Terminplan zu bringen.
Das ist verständlich. Aber warum tut man sich 150 Gigs im Jahr eigentlich an? Doch nicht aus finanziellen Gründen, oder?
Weil ich mich sonst langweile. Wenn ich mich überarbeitet fühle und mir ein paar Tage freinehme, gehe ich oft als Gast in Clubs. Und jedes Mal packt mich schnell dieses Gefühl: Ich will hier auflegen. Jetzt, sofort! Ich glaube, ich bin weder nach Alkohol noch nach anderen Drogen süchtig, aber ich brauche das Auflegen. Wenn ich um 16 Uhr nach einer geilen Nacht aufwache, fühle ich mich verkatert, es geht mir dreckig. Aber sobald ich im Club stehe, kann ich mein Set kaum erwarten. Ich will immer auflegen, ohne Pause. Irgendetwas stimmt nicht mit mir.
“Ich bin einfach ein sehr guter DJ und ich habe keine Scheu, das offen zu sagen.”
Mit Numbers betreibst du außerdem ein sehr erfolgreiches Label. Wie geht das neben den vielen Gigs?
Wir betreiben das Label zu acht. Die anderen Numbers-Mitglieder stehen nicht so sehr im Rampenlicht wie ich, sind aber für den Tagesbetrieb viel wichtiger. Das ist ähnlich wie mit unseren Veröffentlichungen. Wenn von Numbers die Rede ist, erwähnen die Medien vor allem unsere Platten von Jamie xx und Sophie, während ein geiler Grime-Release eines unbekannten Produzenten weniger Aufmerksamkeit bekommt, für den Label-Katalog – und mir persönlich – aber fast wichtiger ist.
Wie ist das eigentlich mit Sophie? Es gab 2015 kaum einen Elektronikkünstler, über den in den Mainstream-Medien mehr geschrieben wurde.
Sophie ist ein Bekannter von uns, dessen Tracks wir veröffentlichen. Da steckt kein Kalkül dahinter. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als mit meinen Numbers-Kollegen am Tisch sitzen und die Verkaufschancen eines potenziellen Releases zu diskutieren. Allein die Vorstellung bringt mich zum Kotzen. Aber es stimmt schon: Es dauerte nicht lang, bis die Major-Plattenfirmen mit Geldscheinen winkten und versuchten, ihn uns wegzuschnappen.
Mit Erfolg?
Dazu kann und will ich im Moment nichts sagen. Aber ich habe das Gefühl, dass Sophie keinen Bock auf den großen Rummel hat.
Neben Sophie gibt’s mit Künstlern wie Rustie und Hudson Mo- hawke erstaunlich viele international erfolgreiche Elektroniker aus Glasgow – vor allem angesichts der Größe von 400.000 Einwohnern. Wie kommt’s?
Schwer zu sagen. Hudson Mohawke beantwortet diese Frage oft so: „Weil es so scheiße ist, in Schottland zu leben.“ Was er damit meint: Jeder hier schießt sich am Wochenende gern weg. Weil er einen Arschjob hat, weil er der Tristesse kurzzeitig entkommen will. Ähnlich wie Detroit ist Glasgow eine postindustrielle Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Leute wie Hudson Mohawke und Rustie fingen an, Musik zu machen, weil es sonst nichts zu tun gab. Als Kind aus der Arbeiterklasse machst du nach der Schule eine Lehre und wirst Elektriker. Oder du scheißt darauf, fliegst von der Schule, rauchst Gras und machst seltsame Musik.
Wenn man die Glasgower Szene betrachtet, hat man den Eindruck, dass sehr viele Fäden bei dir zusammenlaufen. Schließlich hast du die erwähnten Künstler und viele weitere entdeckt und gefördert.
Na ja, Rustie und Hudson Mohawke würden so oder so Gehör finden. Kanye West würde auch ohne unsere Hilfe bei ihm anklopfen, weil seine Musik großartig ist. In den vergangenen Jahren war ich allerdings etwas beunruhigt, wenn mich viele Leute fragten: „Wann kommt das nächste große Ding aus Glasgow?“ Zum Glück gibt’s nun wieder viele neue Talente wie Jasper James und Denis Sulta. Denis arbeitet bei Rubadub und veröffentlichte kürzlich eine tolle Platte auf Dixon Avenue Basement Jams.
Ein weiteres tolles, neues Label aus Glasgow.
Stimmt. Und das bringt mich zu deiner vorigen Frage zurück: Warum gibt’s so viel gute Musik hier? Ich weiß nicht genau, ob ich HudMos These zustimme. Aber erklären kann ich’s auch nicht wirklich. Wenn ich nach einem langen DJ-Wochenende zurück nach Glasgow komme – es klingt total kitschig, aber es ist wahr –, wenn der Flughafenzug über den Fluss fährt und das Schild „Welcome To Glasgow“ passiert, dann weiß ich jedes Mal: Das ist die beste Stadt der Welt, ich will nie weg von hier.