Dieser Text erschien zuerst in der Groove 159 (März/April 2016).
Es gibt zwei Dinge, die der schottische DJ und Labelbetreiber Jackmaster hasst: DJ-Snobs und auflegefreie Wochenenden. Das Auflegen ist für den Mann aus Glasgow Beruf und Sucht zugleich. Im Interview erzählt er uns, wie er mit beidem umgeht, weshalb eine Daft-Punk-Single seine Karriere startete und warum er Selbstironie im Underground scheiße findet.
In der Underground-Oberliga gibt’s derzeit nur zwei DJs, die selbst keine Musik produzieren: Ben UFO und Jackmaster. Die zwei Briten wurden von den Resident-Advisor-Lesern unter die Top Five der besten DJs 2015 gewählt, auf britischen Elektronikfestivals genießen sie Headliner-Status. Ihre Reputation allerdings könnte verschiedener kaum sein: Während Ben UFO mit seinem Label Hessle Audio den Ruf des Avantgardisten innehat, der beim Auflegen die Grenzen der Clubmusik auslotet, gilt Jackmaster als DJ des Volkes. Als Musikliebhaber mit lexikalischem Wissen, der, anstatt damit hausieren zu gehen, in seinen Sets Detroit Techno so gekonnt wie ironiefrei auf Euro Dance mixt – und dazu selbst hemmungslos auf der Bühne abgeht. Als Betreiber etlicher Labels, mit denen er eine ganze Generation junger Künstler seiner Heimatstadt Glasgow gefördert hat – von Rustie, dessen allererste EP er veröffentlichte, bis Newcomer Denis Sulta. Und als Kumpeltyp, den du nach seinem DJ-Set im Raucherhof kennenlernst, wo er dich offenherzig zur Afterparty in seiner Wohnung einlädt. Im Interview, das Groove anlässlich seines 30. Geburtstags führte, spricht Jack „Jackmaster“ Revill über das Stigma des Crowdpleasers und verrät, warum er selbst keine Tracks produziert.
Die meisten DJs, die wir in diesem Magazin porträtieren, sind gleichzeitig Produzenten. Viele davon notwendigerweise, weil du heute beides in Personalunion sein musst, um eine internationale Karriere aufzubauen.
Vor fünf Jahren war das fast noch extremer. Ohne Hit-Platte hattest du keine Chance auf die großen Gigs. Leute wie Ben UFO, Oneman und ich waren damals die Ausnahme. Aber ist es nicht gerade jetzt total angesagt, einfach DJ zu sein?
Findest du?
Meiner Meinung nach wird der nicht produzierende DJ derzeit etwas zu sehr romantisiert. Ich habe fast das Gefühl, Leute denken, dass Ben und ich super DJs sind, gerade weil wir keine Musik veröffentlichen. Wir werden in den Medien oft als Jerry-Maguire-Typen dargestellt, die einer jungen Generation von DJs zeigen sollen, dass man es auch anders schaffen kann. Aber dazu sage ich: Ehrlich, macht Hits, wenn ihr es könnt!
Warum machst du keine?
Ich hab’s versucht, glaub mir! Aber mir fehlt die Geduld.
Wirklich?
Ich besuchte vor Jahren das SAE-Kolleg, um die Produktionsgrundlagen zu erlernen. Jede Nacht bastelte ich an Tracks, während meine Freundin schlief. Als ich zufrieden war, spielte ich sie einem guten Freund vor. Der meinte abschätzig: „Na ja, das klingt wie ein mieser Abklatsch von Orbital.“ Ich konnte es kaum glauben! Ich hatte drei Wochen Arbeit in den Track gesteckt. Seitdem bewundere ich gute Produzenten noch mehr. Und ich selbst konzentriere mich auf das, was ich besser kann.
Wie bist du zum Auflegen gekommen?
Mein Freund Calum [DJ Spencer, Anm. d. Red.], mit dem ich das Label Numbers betreibe, brachte es mir bei. Ich arbeitete zu der Zeit bei Rubadub und fing ich mit zwei riemenbetriebenen Plattenspielern an. Als ich dann schließlich Technics 1210er kaufte, tat ich mich erst schwer damit, weil sie so viel Power hatten. Ich sperrte mich wochenlang in meinem Zimmer ein und kam erst wieder heraus, als ich ein Plattenmix-Biest war.
Stichwort Rubadub: Der Plattenladen gilt als schottisches Hardwax- Pendant. Du hast als 14-Jähriger angefangen, dort zu arbeiten. War die Musikerziehung dort eine strenge Schule?
Die Erziehung fing schon an meinem ersten Arbeitstag an. Es war der Tag, an dem die Vinyl-Promo der damals neuen Daft-Punk-Single „One More Time“ geliefert wurde. Als ahnungsloser Teenager fragte ich, ob ich sie haben kann. Mein Vorgesetzter sagte: „Nein!“ – und warf die Promo vor meinen Augen in den Mülleimer. Stattdessen drückte er mir Platten von Künstlern wie Optic Nerve, Juan Atkins und DJ Godfather in die Hand. Sein Kommentar dazu: „Hör dir das Zeug mal an!“ In diesem Moment startete rückblickend vermutlich meine DJ-Karriere.
Wie hast du es als DJ eigentlich über die Stadtgrenzen von Glasgow hinaus geschafft?
Mitte der Nullerjahre, als das Internet schneller wurde und ich meine DJ- Mixes hochladen konnte, bekam ich plötzlich Anrufe aus London. Ich war 19 und die Veranstalter bezahlten für Reise und Unterkunft. Ich konnte es gar nicht fassen. Aber ich muss sagen, ich arbeitete schon damals hart an meinen Mixes. Nicht Tage, sondern Wochen. Das ist bis heute so. An meinem „Mastermix 2015“ feilte ich fast einen Monat lang. Bis wirklich jeder Track an der richtigen Stelle saß.
“Wenn ich eine Platte herausbringe und die Leute hassen sie, dann wäre das ein harter Schlag für mein Ego.”
Auf dem Kontinent wurdest du von vielen erstmals durch dein Label Dress 2 Sweat wahrgenommen, dessen Releases um 2008 das bunte Feld zwischen Breakbeats, Mash-ups und Baile Funk beackerten.
Das Label wurde anfangs von einer einzigen Person beeinflusst: Diplo. Eine Menge Groove-Leser werden jetzt die Nase rümpfen, weil sie Diplo für uncool halten. Aber der Typ änderte meine Weltsicht. Er mixte Baile Funk aus den Ghettos von Rio de Janeiro mit Green Velvet und Chaka Khan. Zu einer Zeit, als das noch so frisch wie unerhört war. Wir buchten ihn damals für eine Party in Glasgow für 250 Pfund. Heute verlangt er vermutlich 250.000.
Wo du eklektisches DJing ansprichst, waren die Glasgower DJ- Lokalmatadoren Optimo wichtig für deine musikalische Sozialisation?
Nein. Ich war in meiner Jugend nie bei ihren Clubnächten. Ich fand sie scheiße.
Echt? Warum?
Weil sie damals so angesagt waren. Das schreckte mich ab. Optimo waren damals riesig in Glasgow, mir ging der ganze Hype irrsinnig auf die Nerven. Aus heutiger Sicht war diese blinde Ablehnung natürlich saudumm. Erst später erkannte ich ihre Genialität. Ich sah, dass sich unsere Ansätze sehr ähneln. Wir beide lieben es, unser Publikum zu fordern – und gelegentlich auch zu verwirren. Sie machen das mit Rockabilly-Platten, ich mit seltsamem Ambient-Zeug.
Lass uns kurz zur Ausgangsfrage zurückkehren: Wie verschafft man sich als DJ heute internationale Aufmerksamkeit, ohne je selbst Musik veröffentlicht zu haben?
Ich hatte Glück. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Glück? Ach, komm!
Wirklich. Ein Beispiel: Um 2011 herum war ich innerhalb von sechs Monaten Teilnehmer der Red Bull Music Academy, wurde von DJ Mag zum Newcomer-DJ des Jahres gewählt und veröffentlichte eine Mix-CD auf dem Fabric-Label. Diese drei Dinge brachten mir mit einem Schlag extrem viel Aufmerksamkeit.
Gut. Aber solche Dinge fliegen einem ja nicht zu.
Was soll ich dir sagen? Ich bin einfach ein sehr guter DJ – und ich habe keine Scheu, das offen zu sagen. Viele mögen das arrogant finden. Aber erinnere dich an deine Schulzeit! Da gab es sicher ein Kind, das im Kunstunterricht seine Zeichnung nur unter Aufforderung des Lehrers herzeigte – und dann ganz verblüfft tat, als es dafür gelobt wurde. Insgeheim wusste dieses Kind, dass seine Zeichnung gut war, aber ihm fehlte das Selbstbewusstsein, das auch zu zeigen. Ich sage: Erkenne dein Talent und sei stolz darauf! Gerade in der Undergroundszene gilt Understatement als hip, aber ich finde Selbstironie scheiße. Warum sollte ich mein Talent herunterspielen? Schließlich verdiene ich mit dem Auflegen mein Geld.
Vielleicht tue ich dir unrecht, aber spielst du dein Potenzial nicht selbst ein wenig runter, was das Produzieren angeht?
Du willst wissen, warum ich keine Tracks produziere? Ich hab Angst davor, zu scheitern. Wenn ich eine Platte herausbringe, und die Leute hassen sie, dann wäre das ein harter Schlag für mein Ego. Jeder Produzent, der sagt, dass er Musik nur für sich macht und auf die Reaktion der Leute pfeift, ist ein Lügner. Wenn ein DJ verkopfte Tracks spielt, weil ihm das Publikum angeblich ach so egal ist, will er damit vermutlich den DJ nach ihm beeindrucken. Jeder versucht irgendjemandem zu gefallen.
Wem versuchst du zu gefallen?
Dem Publikum. Deshalb genieße ich in der Szene den etwas dubiosen Ruf des Crowdpleasers. Ich hab auch schon Momente beim Auflegen erlebt, in denen ich besonders gut war, weil eine bestimmte Person im Club anwesend war. Oft genügt auch allein die Vorstellung, dass eine bestimmte Ex-Freundin in der Menge sein könnte.