Anthony Child alias Surgeon aus Birmingham gilt zurecht als einer der kompromisslosesten Techno-Produzenten überhaupt und hat in seiner 20-jährigen Karriere so gut wie nie an Bedeutung verloren. Obwohl Child ein Kind der Neunziger ist, steht er vielleicht wie sonst nur Luke Slater oder Robert Hood für Techno als Ganzes. Wie ist ihm das gelungen? In der Verbindung von Sounds und Grooves folgen seine Tracks keinen gängigen Regeln, keinen Strukturmustern. Sounds und Grooves stehen sich nicht als zwei besser oder schlechter aufeinander abgestimmte Elemente gegenüber. Sie scheinen aus derselben so mitreißenden wie unversöhnlichen Energie zu entstehen. Die Synthesizer generieren keine Flächen oder Hooklines, sondern gewaltige, komplexe und unvorhersehbare Klangereignisse, die mehr mit dem Wetter, als mit Musik zu tun haben. Es sind gerade die unvorhersehbaren Mutationen der Sounds, die seine Musik so besonders machen. Bis heute. Mit seinem 2013er Album für NNA Tapes und mit dieser Veröffentlichung bei Mego entwickelt Child einen ganz neuen Ansatz: stehende, fest umrissene, orgel- oder fanfarenartige Klänge ohne Grooves, die sich nur minimal, an der Grenze zur Spürbarkeit, verändern. Child verabschiedet sich von seiner Ästhetik des Imposanten, diese Klänge sind ziemlich normal, wenn auch nicht wirklich vertraut. Sie haben immer eine eigentümliche Nuance, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Tracks wurden im Dschungel von Maui aufgenommen, manchmal ist der Urwald im Hintergrund zu hören. Die Natur scheint eine klärende Wirkung auf Child gehabt zu haben: Der einzelne Klang steht jetzt ganz und gar für sich. Es geht nicht mehr darum, (wie früher) den Geist des (Post-)Punk mit elektronischen Mitteln umzusetzen. Manchmal erinnern die Stücke an Tangerine Dream, aber ohne einen umfassenden, spirituellen Sinn. Oder an Cosmic Disco – aber ohne Kosmos und ohne Disco.
Stream: Anthony Child – All Around And Inside