Unglaublich, aber wahr: Mit Lost Themes erscheint 2015 das Debütalbum des demnächst 77-jährigen Regisseurs John Carpenter. Als ob die menschenscheue Hollywood-Legende die Groove-Jubiläumsausgabe gelesen hätte, befindet sich darauf tatsächlich, um zu unserer amtlichen Lieblingsphrase zu greifen, Musik zu einem Film, der erst noch gedreht werden muss. Begonnen hat der Komponist Carpenter vor 40 Jahren mit seiner noch auf der Filmhochschule konzipierten Sci-Fi- Parodie Dark Star, es folgten Assault on Precinct 13, Halloween, The Fog, Escape from New York, Christine – seine emblematischen Soundtracks der 80er waren prägend für die Entwicklung ganzer Genres, insbesondere im Electro hat er Maßstäbe gesetzt, die nach wie vor verbindlich sind. Mehr als das: Dass John Carpenter in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik einen ebenso großen Stellenwert einnimmt wie in der Filmgeschichte, muss mittlerweile als allgemein bekannt gelten.
Für seine Scores benötigte der Visionär des Horrorkinos Soundtracks der dringlichen, existenziellen Zuspitzung, einer genauso psychologisch suggestiven wie körperlich angreifenden Emergenz. Dazu hat er majestätisch dräuende, schicksalhaft und eindringlich visuell wirkende Stücke komponiert und produziert. Überwältigung und Leitmotiv-Technik dürfte der Sohn eines Musikprofessors bereits früh kennengelernt haben. Dazu kommt ein ausgeprägtes Gespür für die Unweigerlichkeit, die mit programmierten Rhythmen einhergeht. Die neun Tracks mit Titeln wie „Vortex“, „Abyss“, „Mystery“, „Purgatory“ oder „Night“ lehnen sich nicht nur dem Namen nach an die selbsterschaffenen Genremuster an. Ein wenig fehlt auch der gegenwärtig wieder so begehrte Charme der alten Analog-Technik in dieser digitalen Produktion. Auf Stücken wie „Purgatory“ wird dies ausgeglichen durch aufgenommene Drums und Gitarrensounds – und man merkt: Da spielt eine Band im Hause Carpenter.
Stream: John Carpenter – Vortex