Mit „La Ritornelle“ hat sich Sébastien Tellier 2003 in die Annalen der Clubmusik eingetragen – noch immer ein Dauerbrenner auf französischen Hochzeiten, wie man hört. Die seitdem erschienenen Werke tragen Titel wie Politics oder Sexuality und haben die Gattung Konzeptalbum gleichzeitig für sich in Anspruch genommen wie unterlaufen. Für L’Aventura, sein sechstes Album (Soundtracks nicht mitgezählt), macht der exzentrische Entertainer eine reizvolle Fiktion auf: Das zentrale Thema hier ist die Kindheit des Künstlers in Brasilien, die dort allerdings gar nicht stattgefunden hat: „Als Künstler und Sänger ist es mein Job, vor der Wirklichkeit davonzulaufen. Die Gegenwart und die Zukunft entziehen sich unserem Einfluss. Wer die Realität verändern will, muss die Vergangenheit ändern.“ Durch diesen Twist kann Tellier auf den zehn Songs seiner Fantasie freien Lauf lassen, ohne je unverbindlich zu werden. Oft genug sind Vorbilder wie Serge Gainsbourg, François de Roubaix oder auch Pink Floyd erkennbar, was der Originalität des Albums aber keinen Abbruch tut. Spürbar echt ist die Begeisterung für das Unechte, für Easy Listening, Filmscores und Chansons. Die Ironie, mit der etwas als cheesy markiert wird, erzeugt hier keine wohlfeile Distanz, sondern ehrliche Empathie, wie auf „Comment revoir Oursinet?“, dem 14-minütigen Centerpiece des Albums, einer Liebeserklärung an ein verloren gegangenes Kuscheltier. Unterstrichen wird diese Hingabe durch die Produktionsdetails: Weite Teile entstanden im Studio von Jean-Michel Jarre, die zwölfköpfige Streichersektion wurde von Arthur Verocai geleitet in Rio aufgenommen, gemischt hat Philippe Zdar. So werden Träume wahr.
Video: Sébastien Tellier – L’adulte