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KINK Der unmögliche Traum

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Text: Alexis Waltz
Erstmals erschienen in Groove 148 (Mai/Juni 2014)

Ten Walls aus Litauen, Stanislav Tolkachev und Vakula aus der Ukraine, Nina Kraviz aus Russland: Osteuropäische Musiker erobern die internationale Clubszene mit einem oldschooligen, synthesizerverliebten Sound. Aber keiner von ihnen ist schon so lang aktiv und zwischen Techno, House und Breakbeats in so vielen verschiedenen Genres unterwegs wie KiNK aus Bulgarien.

Heute Nacht wird KiNK im Berliner Watergate zusammen mit Eats Everything und Catz `N Dogz auftreten. Jetzt am Nachmittag hängt der Himmel schwer und grau über der Spree, auf die man durch die Panoramafenster des Clubs blickt. KiNK ist zum Soundcheck hier. Der ruhige, gefasste Osteuropäer erklärt dem Toningenieur des Clubs sein Set-up. Neben dem Laptop stehen sechs oder sieben verschiedene Controller. Nachdem sich seine zahlreichen Analog-Geräte als nicht handhabbar erwiesen haben, spielt er nun rein digital. Ob es nicht ein wenig lauter gehe, fragt der Tonmann. Tatsächlich klingt KiNKs Musik ein wenig leise und dünn. Geht nicht, denn der Sound kommt aus einem alten USB-Keyboard mit eingebauter Soundkarte, das am Macbook hängt: „Das passt schon. Darüber hat sich noch niemand beschwert.“

KiNK heißt bürgerlich Strahil Velchev, ist 35, und stammt aus Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, wo er bis heute lebt. Seit 1999 ist er DJ und Produzent. Erste Tracks erschienen 2003. Seinen internationalen Durchbruch hatte er 2008 mit dem gemeinsam mit Neville Watson produzierten Housetrack „Inside Out“. Mit diesem Stück gelang es Velchev und Watson, die Nostalgie und Zitathaftigkeit des Retrohouse-Sounds dieser Zeit zugunsten einer selten gehörten Spontanität und Lebendigkeit abzustreifen. Sie reproduzierten die Synthesizer-Improvisationen nicht nur, sondern schienen wirklich in den Sounds zu leben.

 


Stream: KiNK & Neville Watson ‎– Inside Out

 

KiNK hat nur wenige typische EPs mit drei oder vier Tracks produziert, dafür gibt es viele einzelne Stücke und zahllose Remixe. Seine Bearbeitungen von Produktionen von Nina Kraviz, Tom Trago, Deetron, Jimpster, L-Vis 1990 oder seiner Freundin, der Sängerin und Songwriterin Rachel Row, haben ihm viel Bewunderung eingebracht. In seinen Mixen steckt mehr als das übliche Kalkül, sich als neuer Künstler bekannt zu machen. Sein Ansatz schleift sich nicht ab, weil es nicht um einen bestimmten Clubsound geht. KiNK scheint die Tracks zu analysieren und auf ihre Substanz herunterzubrechen: auf den einen, entscheidenden Kontrast von Loop und Synthesizer-Improvisation, von Wiederholung und Veränderung. Zeige mir deinen Track, und ich zeige dir, was dessen Herzschlag ist.

Viele aktuelle Clubtracks streben eine maximal fette Produktion an oder verkünsteln sich in komplexen Klanggebilden. Dieser Eskalationslogik setzt Velchev eine strukturelle Einfachheit und Klarheit entgegen: Der unberechenbare Irrsinn der Synthesizer wird von der Monotonie der Grooves aufgewogen. Bei KiNKs Musik hat man das Gefühl, dass ihm der Umgang mit den elektronischen Sounds so viel Spaß macht, dass er nicht mit aller Gewalt das Maximum rausholen muss. Durch diese bescheidene Haltung sind seine Hits wie „E79“, „Existence“ (auf Ovum), „Detunator“, „Bittersweet“ (auf Liebe*Detail) oder „Express“ (bei Rush Hour) umso überraschender und entwickeln eine ganz unerwartete Größe.

Acht Stunden später findet der Live-Gig statt. Es ist vier Uhr morgens, das studentische und internationale Publikum amüsiert sich. Die dicken Basslines und satten Grooves von Eats Everything und Catz N´ Dogz verklingen. Jetzt steht der ruhige Bulgare unter Strom. Blitzschnell tippt er auf die Tasten der Controller, einen Moment später erklingt ein Pattern, es wird geloopt und bleibt stehen. Es klingt wie ein Auftakt, eine Ankündigung für die fetten, geraden Beats. Aber die kommen nicht. Statt die Spannung aufzulösen, verändert sich das Pattern nur minimal und erzeugt einen Schwebezustand. Der rumpelige, zweidimensionale, gewitzte Sound von KiNK setzt sich vom großspurigen, raumgreifenden, tendenziell aufdringlichen Sound der Housetracks der DJs an den CD-Spielern ab. Immer wieder stürzt Velchev an das DJ-Pult und cuttet ein paar Scratches in den Track. Er hält einen kleinen Controller, der aussieht wie der einer Spielekonsole, in die Höhe und zeigt, wie er ein paar Töne aufnimmt, loopt und in den Track einfließen lässt. Was sich andere Houseproduzenten in nächtelangen Sessions erfrickeln, jammt Velchev Track für Track herunter wie ein versierter Jazzmusiker. Dabei gebärdet er sich nicht als elektronischer Jimi Hendrix, und auch nicht als abgebrühter Profi. Sein Konzert ist zu durchdacht, zu tiefgründig, um als Showact wegerklärt zu werden. Und auch für einen fist bump mit einem Besoffenen ist noch Zeit.

Die Boombox als Studio

Velchev stammt aus einer bürgerlichen Familie Sofias, seine Eltern sind Juristen. Das Haus seiner Familie wurde beim U-Bahn-Bau abgerissen. So wuchs er in einer Plattenbau-Siedlung im Zentrum der Stadt auf. Erst vor kurzem ist er dort ausgezogen. Sein auf Macro erscheinendes Debütalbum Under Destruction ist diesem Ort gewidmet: „Diese einfachen, klaren Formen haben mich geprägt.“ Den Kommunismus hat der 1980 geborene Velchev nur noch als Kind erlebt. Der Systemwechsel vom sozialistischen Ein-Parteien-System zur parlamentarischen Demokratie und Marktwirtschaft 1990/1991 lief in Bulgarien friedlich ab: „Die Älteren hofften auf ein Wunder und glaubten Bulgarien wird zu einem Land mit einem wirklich hohen Lebensstandard. Ich war zwölf, mich hat interessiert, wie ich Unterrichtstunden schwänzen kann, um mit meinen Freunden rumzuhängen. Natürlich war ich neugierig auf die Zukunft.“

Die „coolen“ Mitschüler hörten Metal, der in Bulgarien groß war, oder Punk: „Ich gehörte keiner dieser Gruppen an, ich war schüchtern, still. Ich war für mich und habe die Musik von Boney M. oder Modern Talking, genossen.“ 1991 begannen Leute, raubkopierte Musik auf der Straße auf Kassetten zu verkaufen: „Dass die raubkopiert waren, wusste ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich gar nicht verstanden, was das ist.“ Im staatlichen Rundfunk gab es eine Sendung mit Tanzmusik: „Sie spielten die offensichtlichsten Hits. Einmal kam ein Stück, was sich wirklich, wirklich sonderbar anhörte. Der Moderator sagte: Das ist Techno. Das veränderte alles in mir. Ich war besessen von diesem Klang.“

Bei den Bootleggern stieß er auf zwei Compilations des deutschen Hype!-Labels mit Tracks von Richie Hawtin, Joey Beltram, Future Sound of London und Dave Angel: „Für mich war das alles Techno.“ In den nächsten Jahren waren diese Händler neben Radio France International seine einzige Quelle: „Obwohl ich kein französisch spreche, konnte ich die Namen raushören. Ich saß die ganze Nacht vor dem Kassettenrecorder. Ich drückte die ersten Sekunden lang mit dem Finger auf die Pause-Taste und lies los, wenn das Stück gut war.“

 

„Dass es in Bulgarien so schwer war, Zugang zu der Musik zu bekommen, hat meine Leidenschaft nur noch gesteigert.“

 

Für Velchev gab es keinen Weg, den ein bulgarischer DJ vor ihm gegangen wäre, keinen großen Bruder eines Kumpels, der Plattenspieler besaß. Und natürlich keine YouTube-Videos. Er war absolut sich selbst überlassen: „Dass es in Bulgarien so schwer war, Zugang zu der Musik zu bekommen, hat meine Leidenschaft nur noch gesteigert. Selbst Musiker zu werden, war ein unmöglicher Traum.”

Velchev hatte eine Ahnung, dass es darum gehen muss, die Töne zu manipulieren. Er scratchte mit seinem Plattenspieler. Auf Tapes mit Scratches hatte er gehört, dass irgendetwas den Sound cuttete, aber er wusste nicht, was das war, denn er hatte noch nie einen DJ gesehen. Er schnitt das Lautsprecherkabel seines Mono-Plattenspielers durch und lötete eine Feder dran. Wenn er auf die Feder drückte, schloss sich der Stromkreis und die Scratches wurden hörbar: „Damit wurde ich ziemlich gut. Wie ein Crossfader. Nur schneller.“ In seiner Nachbarschaft wohnten ein paar HipHop-Kids, die Musik produzieren wollten. Sie gaben ihm ein Doppelkassettendeck und Tapes mit HipHop-Tracks. Er suchte freistehende Beats und nahm ein paar Takte auf das Tape auf der anderen Seite auf. Das wiederholte er, aus ein paar Sekunden wurden ein paar Minuten: „Es war nicht perfekt, aber ok. Die Beats kamen von einer Boombox in der Ecke des Raums. Die Jungs rappten und ich scratchte und wir nahmen das Ganze in einem Rutsch auf.“

1994 entdeckte er einen kleinen Plattenladen im Foyer eines Kinos in der Innenstadt. Die hatten einen legalen Deal mit Ninja Tune und Warp. Um eine Kassette kaufen zu können, musste er wochenlang sparen: „Die Jungs sagten irgendwann: Wenn du nicht so viel Kohle hast, kannst du dir die Musik einfach hier anhören.“ Es gab auch einen Typ, der eine andere Art von Bootlegging betrieb: „Man gab ihm eine Kassette und etwas Geld, und er nahm Dir eine CD aus seiner Sammlung auf. Da hab ich viel nachgeholt.“

Anfang oder Ende?

In der Mitte der neunziger Jahre entwickelte sich in Sofia eine Partyszene. Die Menschen waren hungrig auf alles aus dem Westen. Die Partys waren sofort gigantisch. Gebucht wurden DJs, die Trance auflegten, etwa Carl Cox. Die Partys fanden in öffentlichen Gebäuden in der Stadt statt, völlig legal: „Das war das verrückteste: In den Neunzigern gab es viel Gewalt in Bulgarien, in Sofia. Die Mafia war sehr stark. Aber sie hatten ihre eigenen Bars und Clubs. Die mächtigen Gruppen waren ehemalige Ringer. Sie waren sehr aggressiv, man wollte nicht in einen ihrer Läden geraten. Die Danceszene war aber eine Parallelwelt. Einmal gab es eine Party mit zehntausend Leuten. Ich ließ irgendwo in der Ecke meine Jacke liegen und am Morgen lag sie immer noch da. Das war ein Phänomen, das ich vermisse. Damals war mir das nicht klar, aber wir hatten schon etwas Besonderes.“

Die Szene war neugierig und unschuldig. Jenseits von Gras gab es kaum Drogen. Die Leute waren bunt gekleidet, es gab eine Love Parade. Es gab auch Undergroundpartys, auf denen drei- oder viertausend Leute zur Musik eines unbekannten deutschen oder britischen DJs tanzten, die näher an Velchevs Geschmack lagen: „Ich dachte, dass sei nur der Anfang, dass es immer so sein wird, nur besser.“ Aber nach den Neunzigern war die Clubmusik nichts Neues mehr. Viele der jungen, aktiven, gut ausgebildeten Leute wanderten nach Westeuropa und in die USA aus: „Wir haben die nächste Generation verpasst. Sie standen auf den R&B von MTV, aber weniger auf die Musik, eher auf den Style: Geld, Autos, Frauen.“

 

 

Nachdem viele Bewohner der Stadt weggezogen waren, zog die Landbevölkerung nach und wurde kulturell tonangebend. Mit dem im Kommunismus verbotenen Chalga wurde ein Popsound groß, der nichts mit der traditionellen bulgarischen Musik zu tun hatte, sondern Folkmusik aus der Türkei, Griechenland, Serbien und von den Roma verschmolz und mit einer modernen, glatten Oberfläche versah. Alles an dieser Musik ist over the top. Chalga-Songs sind extrem anzüglich oder handeln von den ganz großen Gefühlen und Träumen – und haben dabei doch etwas Biederes, Kleinbürgerliches.

Velchev begann Grafik, Design und Animation zu studieren, verlor aber schnell das Interesse daran und beschäftigte sich nur noch mit Musik. Mit fünf Freunden gründete er die Porno-BPM-Clique und organisierte kleine Partys. „Porno, weil wir es roh und nackt mögen“, schließlich war Pornografie im Ostblock verboten. Für die neue Bodenständigkeit, die sich in den Nullerjahren in Sofia durchsetzte, war Velchev verloren: „Ich habe mir nie über das Geldverdienen oder die Karriere Gedanken gemacht. Damit hat meine Generation immer gekämpft, uns war diese Realität nicht klar. Ich habe mit meinen Eltern nie darüber gesprochen. Das war überhaupt keine Frage. So lange man einen Universitätsabschluss hat, hat man auch eine Karriere. Als Student hatte ich nie einen Job. So hatte ich kein Geld und konnte mir nichts leisten. Ich war passiv. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, neben dem Studium zu jobben.“

Der lange Weg zum amtlichen Track

Absurderweise verschaffte ihm der Militärdienst die erste Möglichkeit, selbst Musik zu machen. Er war im Hauptquartier der Grenzpolizei eingeteilt. Dort gab es einen Computerraum. Seine Freunde kopierten den Schlüssel und brachen nachts dort ein: „Das hätte übel enden können. Die anderen zockten. Ein Freund hat mir vierzehn Disketten mit der Software Jeskola Buzz mitgebracht. Die installierte ich und legte los.“

Nach der Militärzeit installierte er das Programm auf den Computern einer Reihe von Freunden, zwischen denen er hin und her pendelte. 2000 bekam Velchev seinen ersten eigenen Rechner (mit einem 133Mhz-Prozessor, 8 MB Arbeitsspeicher und einem einzigen Lautsprecher). Er versuchte House und Techno zu produzieren, und Breakbeats wie Remarc oder Squarepusher.

Buzz benutzt er heute noch, die Software hat ihn in vieler Hinsicht geprägt. Weil sie keine grafische Benutzeroberfläche hat, lief sie auch auf den langsamen Rechnern dieser Zeit: „Blaue Rechtecke machen Sounds, pinke Rechtecke Effekte.“ Bei Buzz gibt man alle Parameter – Tonhöhe, Klangfarbe, Tempo, Notenlänge – über Zahlen und Buchstaben ein: „Es ist, als würde man mit einer Excel-Tabelle Musik machen. Das klingt einschüchternd, aber ich hatte keine Wahl. Heute ist es für mich kreativer und intuitiver als Ableton oder Logic. Mit der Tastatur bin ich viel schneller als mit der Maus und es gibt keine Ablenkung durch irgendwelche Farben.“ Man konnte nichts rückgängig machen, was Velchev eine enorme Konzentration abverlangte. Das Programm stürzte ständig ab, so dass er lernte, den Track blitzschnell noch einmal zu programmieren.

Zu amtlichen Produktionen kam Velchev über einige Umwege: „Ich wusste nicht, dass ich eine Komposition machen musste. Ich ließ einen Loop laufen, veränderte einen Paramater live, während ich das auf Kassette aufnahm. 2002 trat ich im Radio auf, von da an war ich von der Idee des Arrangements besessen. Ich verlor die Fähigkeit zur Improvisation.“

2003 hatte er das Gefühl, so weit zu sein. Er brachte einen Track auf einer französischen Compilation unter. 2005 erschien sein erstes Vinyl, was er als Beginn seiner Karriere ansieht: „Ich habe überproduziert, wollte alles bis ins kleinste Detail perfekt machen. Ich wiederholte denselben Fehler, den ich beim Zeichnen machte: Ich fing bei der Nase an oder bei den Augen. Das ganze Gesicht war dann verzerrt.“

Claim to fame

Velchev veröffentlichte Maxis auf Odori und RZ, doch es gab kaum Resonanz. 2008 sah er auf Myspace ein Bild des britischen DJs Neville Watson, wie der die erste KiNK-Platte spielte. Velchev kannte Watson von einer Mix-CD aus den Neunzigern: „Ich war so glücklich. Ich schrieb ihm.“ Sie entdeckten gemeinsame musikalische Leidenschaften und schickten sich Trackelemente hin und her. Gleichzeitig entdeckte Velchev den House und Techno der frühen Neunziger wieder: „Er schickte mir Samples, ich machte einen Track daraus. Weil er nicht zur Veröffentlichung bestimmt war, nahm ich es nach der alten Methode auf: Record drücken und an den Synths herumspielen.“ Durch Zufall wurde „Inside Out“ von Rush Hour auf Myspace entdeckt. KiNK arbeitete drei Wochen, um es fertig zu stellen. Doch Rush Hour wollte die erste Version veröffentlichen: „Das brachte mich zum Nachdenken. Ich änderte meine Art zu produzieren.“

 

„Wenn heute viele DJs Musiker sein wollen, dann bin ich ein Musiker, der DJ sein will.“

 

2009 waren Liveacts populär und internationale Promoter wollten KiNK als solchen buchen. Aber Velchev hasste Laptop-Acts. Um aus Bulgarien raus zu kommen, nahm er trotzdem einige Anfragen an. In der Nacht vor dem Auftritt lieh er sich einen Laptop von einem Freund und eine Stunde vor dem Konzert einen MIDI-Controller von einem Kollegen: „Ich tat, was jeder tat: Ich spielte fertige Files mit Ableton ab.“ Er war unzufrieden – aber die Promoter begeistert. Er begann systematisch, an einem auch ihn selbst befriedigenden Liveact zu arbeiten. Mit den Honoraren konnte er sich endlich auch Hardware zulegen. In den vergangenen Jahren ist er vom Einsatz vorproduzierter Tracks über vorproduzierte Elemente dazu übergangen, hauptsächlich live improvisiert zu arbeiten: „Ich bewundere Jeff Mills, so will ich mit Tönen umgehen. Wenn heute viele DJs Musiker sein wollen, dann bin ich ein Musiker, der DJ sein will.“

Die Parallelwelt

Der Wunsch, ein Album zu veröffentlichen, ist nicht erst neuerdings entstanden. 2009 hatte Velchev ein Album für Color Records produziert, das von dem Label in einzelne EPs auseinandergebrochen wurde. 2011 wollte Josh Wink ein KiNK-Album veröffentlichen, nachdem dort die Aufsehen erregende „Rachel EP“ erschienen war. Velchev machte sich daran, Tracks zu produzieren, war aber viel zu langsam. Er begriff, dass er anders ansetzen musste: Er hielt sich den Juli 2012 frei und stellte sich ein Setup aus obskuren Analoggeräten zusammen: sämtliche Maschinen der Berliner Schrauber MBF, den obskuren italienischen Leploop, einen Analog-Sequencer, ein ungewöhnliches Delay und einen Mackie-Vierkanal-Mixer. Er jammte tagelang ohne Hintergedanken. 2013 wurde das Material gesichtet und editiert.

Jetzt erscheint Under Destruction auf Macro. Velchev macht sich total frei von seinen geradlinigen Housegrooves. Jeder Track setzt neu an und erschafft eine individuelle Konfiguration von Rhythmen und Klängen. Man kann Aphex Twin, diverse Ninja Tune-Acts und introspektive Detroitsounds heraushören. Letztlich geht es aber nicht um ein stilistisches Statement, sondern um die Eigenlogik der Synthesizersounds und um die bestmöglichen Verbindungen von Melodie und Rhythmus. In der Isolation war die elektronische Musik eine Fantasie, ein Wunschtraum. Gleichzeitig hatte Velchev mehr Zeit und vor allem mehr Geduld als fast jeder westliche Musiker, den sonderbaren, elektronischen Klängen nachzuspüren. Velchev bringt es selbst auf den Punkt: „Es klingt nicht alt und nicht neu. Es ist vom Ort bestimmt, an dem es aufgenommen wurde. Es bleibt eine Parallelwelt.“

 

KiNKs Album Under Destruction ist bei Macro erschienen.

 


Stream: KiNKUnder Destruction (Album-Mix)

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