Text: Holger Klein
Erstmals erschienen in Groove 143 (Juli/August 2013)
Noch darf Huerco S. mit ruhigem Gewissen als Geheimtipp bezeichnet werden. Doch nach Labels wie Opal Tapes oder Wicked Bass wurde nun auch Maxmillion Dunbar von Future Times auf ihn aufmerksam, was seiner Musik zu einem weiteren Schritt heraus aus der „Outsider House“-Nische verhelfen dürfte – die er ohnehin ziemlich fragwürdig findet.
Gäbe es das Internet nicht, würde Brian Leeds vielleicht immer noch in irgendwelchen Noise- oder Punk-Bands spielen, wie er das als Teenager tat. Denn da hatte er immerhin Mitstreiter in der mitten in Kansas gelegenen Kleinstadt Emporia, in der er aufgewachsen ist. Als der heute 22-Jährige begann, sich mit elektronischer Musik zu beschäftigen, war er allein auf weiter Flur: „Wie du dir vielleicht vorstellen kannst, ist es für diese Musik nicht besonders förderlich, im Mittleren Westen zu leben, daher hat sich für mich alles aus Beziehungen heraus entwickelt, die ich im Internet geknüpft habe.“ Dass die im vergangenen Jahr erschienene Debütmaxi von Huerco S., so nannte sich Brian Leeds nun, auf dem ukrainischen Label Wicked Bass herauskam, ist vor diesem Hintergrund nicht weiter erstaunlich. Diese Platte enthielt mit „No Jack“ und „Untitled“ zwei frappierend gute Slo-Mo-House-Tracks – einerseits verführerisch und sexy, andererseits abgrundtief und schwindelerregend. Die Musik seiner bisher erschienenen vier Veröffentlichungen – es folgten EPs auf Opal Tapes, Future Times und auf Anthony Naples’ Label Proibito (unter dem Pseudonym Royal Crown Of Sweden) – ist zuweilen schwer greifbar. Deep House und Detroit Techno sind zwei Eckpfeiler seines Sounds, experimentellerer europäischer Techno von Labels wie Wania, Börft, Meakusma oder General Elektro nennt der inzwischen in Kansas City lebende Produzent als weitere Einflüsse.
Loops wie Wasserfälle
Der erste Berührungspunkt mit elektronischer Musik war für Brian Leeds Drum’n’Bass: „Freunde von mir hörten das damals, da war ich 16 Jahre alt. Vorher hatte ich keinerlei Bezug zu elektronischer Musik, wenn man mal davon absieht, dass ich mit elf Jahren das Daft Punk-Anime Interstellar 5555 gesehen habe. Zu House fand ich erst wesentlich später. Irgendwann war ich das aggressive und unharmonische Wesen von Hardcore-Punk leid und lernte stattdessen die sinnliche, hypnotische und melodische Natur von House zu schätzen.“ Als er schließlich selbst Musik machte, tat er das vor allem mit der Software Fruity Loops. Noch heute arbeitet Brian Leeds fast ausschließlich mit dem Computer. „Es ist letztlich doch zweitrangig, was man benutzt“, sagt er. „Der wichtigste Faktor ist Zeit. Was zählt, ist die Fähigkeit, sich mit einem Stück so lange zu beschäftigen, wie es notwendig ist, sich in der Musik zu verlieren, sich von einem Loop überspülen zu lassen wie von einem Wasserfall. Aus diesem Prozess gehe ich jedes Mal wie ein neuer Mensch hervor.“
Outsider minus Dance gleich Experiment
Dass man nun auch den Namen Huerco S. unter dem Stichwort Outsider House einsortiert, lässt ihn ziemlich kalt. „Das ist doch eh ein Witz“, winkt er ab. Mit den Leuten, die ansonsten als Outsider House gehandelt werden, fühlt sich Brian Leeds zwar nicht sonderlich verbunden, aber andererseits betont er, dass aus dieser Ecke doch wirklich gute Musik komme. „Wenn du aus dieser Gleichung die Tanzmusik herausnimmst, bleibt das, was ich ganz einfach experimentelle Musik nennen würde“, sagt er. „Die Leute machen nun schon recht lange experimentelle Musik, besonders innerhalb der Clubmusik. Wenn man nun behauptet, dass Outsider House ein echtes Genre ist, dann ist das doch ganz klar eine Geringschätzung all der Jahrzehnte experimenteller Musik, die hinter uns liegen.“ Wie viele andere junge Protagonisten dessen, was etwas windschief unter dem Begriff Outsider House zusammengefasst worden ist, hat Brian Leeds ein besonderes Verhältnis zu physischen Tonträgern, seien es nur auf Vinyl erhältliche Platten oder Kassetten-Labels wie Opal Tapes oder The Trilogy Tapes: „Ich finde es großartig, dass es Labels gibt, die in erster Linie Tapes herausbringen und dennoch ein begieriges Publikum erreichen. Dass die Veröffentlichungen limitiert sind, führt dazu, dass die Musik nicht nur über den Sound geschätzt wird, sondern auch über die Berührung und den Besitz. Ich glaube, es gibt eine einzigartige Verbindung zwischen physisch veröffentlichter Musik und dem Hörer.“