Die abendländische Musikgeschichte wird gern als Verfallsprozess erzählt, in der die über Jahrhunderte verwendeten Harmonien spätestens im 19. Jahrhundert immer mehr ausgereizt und strapaziert wurden, bis man in der Moderne die Tonalität komplett aufgab. Seitdem ist alles möglich, selbst komplett neue Tonsysteme mit anders geordneten Frequenzen wurden erprobt, ohne sich groß durchzusetzen. Auch in der Clubmusik kommen leicht verstimmte Synthesizer immer wieder als Effekt vor, doch meistens blieb man bei den überlieferten 12 Tönen als Grundlage. Stefan Goldmann macht jetzt auf seinem neuen Album ernst mit alternativen Tonsystemen im House und Techno: Angeregt von bulgarischer Chalga-Musik, hat er komplett auf „westliche“ Stimmungen verzichtet und sich bis zu Gamelan-Tonleitern aller möglichen kulturell bewährten „mikrotonalen“ Frequenz-Ordnungen bedient. Hinzu kommen verzerrte Synthesizer-Klänge, die den fremdartig-rauen Charakter des Tonmaterials noch krasser herausarbeiten. Das Experiment geht bestens auf, statt Ethno-House-Kitsch zu verrühren, schlägt Goldmann eine Brücke in zuvor unbekanntes Gebiet, in dem es sich prima tanzen lässt.
Video: Stefan Goldmann – Carrion Crow