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STUDIOBERICHT Studio Elektronische Musik des WDR

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Text: Numinos, Fotos: Alfred Jansen
Erstmals erschienen in GROOVE 129 (März/April 2011)

Regelmäßig besuchen wir an dieser Stelle Produzenten von populär-elektronischer Musik jüngeren Datums und stellen ihre Arbeitsräume, Gerätschaften und Methoden der Klanggestaltung vor. Ein noch frisches Jahr 2011 ist jedoch ein hervorragender Anlass, sich einmal einen kontemplativen Blick zurück in die Zeit zu erlauben. An einen Ort, wo Klänge in mühsamer Handarbeit geformt und nicht geklickt wurden, wo in kompositorischer und technischer Hinsicht Neuland betreten wurde. Dahin also, wo die bewahrenswerten Ursprünge dessen liegen, was wir heute als elektronische Musik kennen.

Als im Jahr 1951 das Studio Elektronische Musik des (damals noch) Nordwestdeutschen Rundfunks seinen Produktionsbetrieb aufnahm, war die heutzutage gängige Personalunion von Komponist und Techniker völlig undenkbar. Stattdessen herrschte seinerzeit eine strenge Dualität in Bezug auf die technische Umsetzung und die musikalische Struktur. Der Techniker war somit das Bindeglied zwischen den Visionen des Komponisten und der Hardware. Volker Müller ist der letzte aus der Fraktion der Toningenieure, die in jenem Studio, das offiziell im Jahr 2001 stillgelegt wurde, noch aktiv Produktionen durchführten. Der im sprichwörtlichen Unruhestand befindliche 67-Jährige ist nicht nur Zeitzeuge der Arbeit des untrennbar mit dem Studio verbundenen Komponisten Karlheinz Stockhausen († 2007), sondern auch der lebende Schaltplan und die menschliche Seele des Geräteparks.

Da bis zum heutigen Tag noch eine Vielzahl ungesichteter Tonbänder aus jenen Pioniertagen vor sich hin schlummert, wurde das Studio auf Initiative des Programmchefs von WDR 3, Professor Karl Karst, mit dem Ziel der vollständigen Archivierung wieder aufgebaut, und zwar in einer WDR-Dependance in einem tristen Industriegebiet vor den Toren Kölns. Dabei war der originalgetreue Aufbau der historischen Geräte unabdingbar für die einwandfreie Digitalisierung. „Nur so kann man die Werke, die ja teilweise in Zwölfkanaltechnik produziert sind (heutzutage würde man die im Kreisrund angeordneten Lautsprecher wohl Dolby 12.0 nennen), authentisch abhören und bewerten“, sagt Volker Müller.

Gefragt, ob ihn die Tatsache, dass ein so außergewöhnlicher Gerätepark nicht mehr produktiv genutzt wird, nicht schmerze, entgegnet er: „Es war ja zu keinem Zeitpunkt böser Wille im Spiel – warum auch? Nein, das Studio Elektronische Musik und teilweise auch die Musik selbst sind in gewisser Weise einfach aus dem Bewusstsein geraten.“ Während er das sagt, zieht er schmunzelnd ein Spültuch mit der Aufschrift Westdeutscher Rundfunk aus dem Schrank, um die original Sechziger-Jahre-Tassen abzutrocknen, die er, wie so vieles in diesem Studio, über die Zeit gerettet hat. Tatsächlich klingt sogar seine Stimme ein wenig wie aus einer anderen Epoche – einer Epoche, in der man die Worte mit Sorgfalt wählte, mit deutlicher Artikulation formulierte und in einer bedachtvoll geführten Sprachmelodie vortrug.

SINUS-TONGENERATOREN UND MESSTECHNIK

Direkt am Anfang des Studiobetriebes stand ein technischer Urknall, der für die Realisation dessen, was wir heute als elektronische Musik kennen, entscheidend war, nämlich die Zweckentfremdung von Geräten aus der Mess- und Prüftechnik des Rundfunks zur Klangerzeugung und -formung. „Filter und Sinus-Tongeneratoren wurden bis dato nur von den Technikern benutzt: um Testtöne zu erzeugen, Fehlerquellen einzugrenzen und Störungen auszufiltern. Der gezielte Einsatz für die Erzeugung und Formung von komponierten Klangstrukturen aber war etwas völlig Neues. Damit kam auch schnell die Hoffnung auf, eine alte Idee aus der Seriellen Musik, nämlich die einer Klangfarbenmusik, endlich verwirklichen zu können“, sagt Müller.

Mit schierer Fassungslosigkeit stellt man beim Blick auf das wieder aufgebaute Studio fest, dass wirklich alles, was heutzutage im Studio zur Klangformung genutzt wird (EQ, Filter, Dynamik), bereits Mitte der fünfziger Jahre zur Verfügung stand. Das für technoide Filterfahrten unverzichtbare Low-Pass-Resonanzfilter nannte sich seinerzeit „abstimmbarer Anzeigeverstärker“ – Stockhausen liebte ihn, wie Müller zu berichten weiß. Und auch ein Terzband-Equalizer stand in Form einer 32-bandigen(!), passiven Filterbank (mit unglaublichen 60dB Pegelhub) zur Verfügung. Dabei besaßen viele Geräte aufgrund ihrer Konzeption als Mess- und Korrekturinstrumente eine derart extreme Flankensteilheit und einen so umfassenden Regelbereich, wie sie erst im neuen Jahrtausend mittels Digitaltechnik wieder möglich wurden.

Gerade die frühen, vollständig analogen Produktionen des Studios verfügen aufgrund von Kanalübersprechen, Bandsättigung und der Granularität von unzähligen Kopiervorgängen zur Klangschichtung über eine geradezu ikonosonische Qualität, die der heutigen Digitaltechnik prinzipiell fehlt. Müller, der auf die klangliche Entwicklung von fast einem halben Jahrhundert Tontechnik zurückblicken kann, gibt zu Protokoll, dass der Grund dieser klanglichen Charakterlosigkeit in der unendlichen Präzision liegt, die mit der Digitaltechnik Einzug gehalten hat: „Unpräzision erzeugt nun einmal die Emotion beim Rezipienten. Stellen Sie sich einen Zigeunergeiger vor, der plötzlich jede Note genau treffen würde (lacht). Nein, die Schwierigkeit besteht heute darin, einen persönlichen Klang zu finden, und das trotz digitaler Mittel.“

GESPIELTE TECHNIK

Ein weiterer, heute völlig selbstverständlicher Aspekt hatte in Köln seinen geistigen und technischen Ursprung: der integrierte Schaffensprozess. Gab es bis dato eine klare Trennung zwischen der Kompositionsarbeit, der Aufführung und der Aufnahme, war es mit der Magnetbandaufzeichnung und der präzisen Reproduzierbarkeit der elektronischen Klänge nun erstmals möglich, ein komplettes Werk im Studio entstehen zu lassen. Mehr noch: Das Studio und die dort verwendete Technik als Ganzes wurden erstmals zu einem mit instrumentalistischer Fingerfertigkeit gespielten Klangkörper. Betrachtet man den musikhistorischen Verlauf, kommt man – trotz gänzlich unterschiedlicher musikalischer Zielsetzungen – zu der Erkenntnis, dass die Techniken des „Dubbens“ ihre Geburtsstunde nicht in Jamaika, sondern in Köln erlebten. Der rauschhafte Fluss des Schaffensprozesses mit Bandschleifen – das Arbeiten im Loop, wie man es heute nennen würde – wird augenblicklich erfahrbar, wenn Müller sich seinen Senkelmaschinen zuwendet, mit der Sicherheit eines blinden Samurai eine Bandschleife auflegt und eine Echtzeit-Improvisation startet.

Ein genauer Blick auf eine der unzähligen, immer griffbereiten Bandschleifen offenbart eines der tontechnischen Geheimnisse jener Zeit: Es ist ein Leerband, auf das in regelmäßigen Abständen kleine, in Hüllkurven geschnittene Stücke Tonband aufgeklebt wurden. Läuft dieses Band in einer Endlosschleife bei gleichzeitiger Aufnahme und Wiedergabe über ein Mischpult, wo Müller eine Rückkoppelung erzeugt hat, wird hörbar, dass es sich gewissermaßen um handgeschnittene Rhythmus-Patterns handelt, die er nun in fortwährender Permutation durch den Raum wandern lässt. Er schmeißt einen Regler der W66-Kassetten nach oben und kommentiert das satte Klacken am Ende der Leiterbahn damit, dass diese Fader-Köpfe eben noch eine spürbare Masse haben und man die Lautstärke tatsächlich physikalisch regelt und nicht irgendwelche Controller-Daten modifiziert. „Die sind einfach so robust konzipiert, dass sie so was über Jahrzehnte mitmachen, weil es im Rundfunkbetrieb eben genauso zuging: Da wurde, wenn der Beitrag aus Hamburg zu Ende war und der aus Köln anfing, der eine Kanal aufgerissen und der andere zugeknallt!“, schwärmt Müller und lässt dann, mit einer fast schon pianistischen Handbewegung, die immer noch durch den Raum mäandernde Feedback-Schleife langsam im elektronischen Nirwana verschwinden.

 


Video: TonBandMaschine: Elektronische Musik in DeutschlandDVD-Trailer (mit dem Studio Elektronische Musik und Volker Müller)

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