Eins der großen Missverständnisse, die in der Diskussion um Dubstep immer wieder auftauchen, ist die Annahme, dass es bei dieser Musik um Verlangsamung beziehungsweise Entschleunigung geht. Der im vergangenen Jahr dominierende Halfstep-Stil, der sich nur halb so schnell anfühlt wie die 140 Beats per Minute des Dubstep-Vorgängers 2Step, hat viel dazu beigetragen. Ein Blick auf die aktuellen Veröffentlichungen zeigt aber, dass es die Produzenten-Klasse von 2007 darauf anlegt, mit diesem Vorurteil ein für alle mal aufzuräumen.
Dubstep ist Rave-Musik – am deutlichsten macht dies der Trend zum Wobble-Bass. Mit verantwortlich dafür ist Jakes’ „3kout“ (Hench): Ein Track, der im Prinzip nur aus einem wildgewordenen Sägezahn-Basslauf besteht. Einer der absoluten Tanzflächenkiller des Jahres ist „Cockney Thug“ (Sub Soldiers/NTT) von Rusko, eine clevere Kombination von Wobble, Ska-Bläsern und einem Filmdialog-Sample, das mit „Wake the fuck up!“ endet. In eine ähnliche Kerbe schlägt „Rudeboy Rpopdim“ (Red Volume) des Dänen RUF, auf derselben Maxi befindet sich noch das wunderbare „Cowboy Universal“ von L-Wiz.
Spannender ist, was sich an der Schnittstelle zu Techno tut. Einen Höhepunkt stellt „Night“ (Tempa/Neuton) von Benga & Coki dar, dem schon vor der eigentlichen Veröffentlichung ein ähnlicher Crossover-Erfolg wie Skreams „Mpopnight Request Line“ beschert war. Auf das minimalistische Stück mit der Mitsing-Melodie können sich sowohl House- und Techno-DJs als auch die Grime-MCs einigen, die es zum populärsten Instrumental des Sommers machten.
Das ebenfalls auf der Maxi enthaltene „Emotions“ (Benga ohne Coki) nimmt mit seinen wummernden Synthie-Akkorden noch deutlichere Anleihen bei der Minimal-House-Ästhetik und lässt hoffen, dass auch Bengas bald erscheinendes Album Diaries Of An Afro Warrior das Zeug dazu hat, außerhalb der Dubstep-Gemeinde hohe Wellen zu schlagen.
Interessante Techno-Dubstep-Hybrpope kommen auch aus Holland. Dort versucht sich Martijn Deijkers, der als Martyn vor allem in Drum’n’Bass-Kreisen bekannt ist, an einer ganz eigenen Fusion von Dubstep, Broken Beats und klassischem Detroit Techno. Seine neue 12-Inch auf Marcus Intalex’ Label Revolve:r ist – das Wort drängt sich einfach auf – purer Jazzstep. Die B-Seite „JW On A Good Night“ pulsiert äußert lässig um das Sample einer wohlbekannten Akustik-Basslinie, das titlestück „Storm Watch“ schlägt etwas rauere Töne an.
Dave Huismans stammt ebenfalls aus den Niederlanden und ist unter einer Vielzahl von Pseudonymen unterwegs. Dogdaze steht für seine Broken-Beat-Produktionen, im Dubstep-Koncontent:encoded bewegt er sich unter dem Kürzel 2562. Wie bei Martyn klingt auch bei ihm ein starker Detroit-Einfluss durch, seine Drum-Programmierung ist jedoch viel näher an 2Step: „Kawalski“ (Tectonic) rollt mit swingenden Conga-Samples, Hall und Akkordtupfern wie nichts Gutes. Die unter seinem dritten Alias A Made Up Sound erschienene Maxi „Sleepwalk/699“ (Subsolo) ist verdammt nah an der Basic-Channel-Schule und ebenfalls sehr empfehlenswert. Pinch, sein Label-Chef bei Tectonic, zeigt wiederum mit „Pepper Spray“ (Planet Mu), dass Dubstep auch auf 165 BPM funktionieren kann.
Eine Folge des Interesses, das Dubstep von Techno-Seite aus entgegengebracht wird, ist die steigende Zahl von Remixanfragen. Villalobos hat den Anfang gemacht, jetzt folgt Si Begg: Im Auftrag von Hotflush hat er den Toasty-Track „Angel“ (Hotflush Remix 002) neu interpretiert. Auf demselben Label ist Boxcutters „Philly“ zu finden, der vielleicht der tanzflächenfreundlichste Track, den der experimentierfreudige Nordire bisher produziert hat.
Bleibt noch zu erwähnen, dass sich Dubstep und Grime nach Zeiten der gegenseitigen Abgrenzung wieder annähern. Bestes Beispiel dafür ist der Vocal-Track „Skeng“ (Hyperdub), den The Bug und Kode 9 mit Roll Deeps Flow Dan aufgenommen haben. Und dass El-B die Wiederbelebung seines bereits legendären Labels Ghost Records angekündigt hat. Ein bisschen mehr 2Step-Schwung kann der Szene auf keinen Fall schaden.
Mehr Bass!
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