burger
burger
burger

Electronica

- Advertisement -
- Advertisement -

Die Einleitung fällt aus Platzgründen dürftig aber zumindest nicht ganz unprogrammatisch aus: Es ist diesmal viel Improv, Jazz und zeitgenössischer Rock in den Electronica-Kasten geschneit.

Fangen wir weit draußen an. Beim Improv von Office-R(6), einem international besetzten Kollektiv, dessen Mitglieder derzeit alle in Amsterdam leben. Mit Klarinette, Saxophon, zwei Laptops, Bass und Percussions spielten sie für die CD "Mundane Occurences And Presentations" (Lampse/Baked Goods) Live-Improvisationen über einige wenige vorgegebene Strukturen ein. Im gruppendynamischen Werkeln werden Sensibilitäten breit zwischen bewussterem kommunikativen (Re-)Agieren und intuitiverem Aushandeln von Soundcontent:encodeduren verstreut, was zu Ergebnissen mit hohem Intensitätslevel führt. Einer popiosynkratischen Vorstellung von filmischer, atmosphärischer, improvisierter Musik gehen Man auf dem Album "Helping Hand" (Sub Rosa/Alive) nach. Mit allerlei Instrumenten stellt das Duo eine Umgebung aus Sorgfalt und Ungewissheit, der Ruhe romantischer Piano-Motive und knorrigen, ganz selbstverständlich in den Fluss geratenden Irritationen her. Eins kommt zum anderen, bis der nie wirklich gebrochene Zusammenhang sich in leichte Verwirrungen auflöst.
Auf der EP "Remixed Part 2" (Staubgold) zum "Absencen"-Album des Kammerflimmer Kollektiefs benutzt Sutekh sphärische Kollektief-Sounds, um sie, wie andere Leute handelsübliche Synth-Flächen, in seinen versatilen Digi-Tech einzufügen, holt also sozusagen mit dem ungewohnten Material, aus dessen improvisatorischem Drive heraus Trackfunktionalitäten ausgehebelt werden, einen ästhetischen Riss in die Routine. Lump200 verkeilt in "Nachtwache Remixed" in luftig harmonische Kollektief-Passagen verhaspelte Beats mit verstreuten funkigen Licks, bis Kaputtes und Heiles zu korrespondieren beginnen, ohne sich anzunähern. Secondo schaltet in "Unstet (Secondo Reshuffle)" eine gerade Bassdrum an und veranstaltet dazu ein feines freundliches funkiges Wirrwarr, in dem nicht mehr zwischen Soundschnipseln und Beats unterschieden wird. Radian erzeugen in "Radian On Equilibrium" mit unterschwelligstem Noise und wenig Perkussivem große Spannung, die sich kurz zu einer vielschichtigen Soundwoge aufbäumt, um in Glockenklangmelancholie zu verebben. In epischerem Ausholen und Verebben ergeht sich die Stockholmer Band Sickoakes auf dem Album "Seawards" (Type/Baked Goods). Langsam türmen sich hier im Fahrwasser von Godspeed You Black Emperor! Wellen aus Gitarrensounds auf, schieben sich, osteuropäische Motive aufnehmend, an Ziehharmonikasoundnebelbänken vorbei zu rockenden Eskalationen aus theatralisch wuchtiger Krachharmonik. Next Life, zwei Typen aus Oslo, hauen auf ihrem Album "Electric Violence" (Cock Rock Disco) derart metallisch korrekt Gitarrengeboller und -gequietsche mit elektronischen Terrorbeats zusammen, dass Überzeugungsträger verranzter Lederjacken hier aus Versehen auch einen der zwischengeschalteten Computerspielsynthieparcours headbangend meistern könnten – "Gameboy Deathmetal" heißt es treffend in der Labelreklame.
Laurence Pike inszeniert auf der 10-Inch "Drums For Fun And Fitness" (Monika/Indigo/Hausmusik) ein hochenergetisches, Taktmaß-warpendes "9 Minute Drum Solo". Gudrun Gut destilliert daraus für ihren atmosphärisch dichten Remix-Track einen gloomy Schreibmaschinengroove. Die "Mixe" von Chica and the Folder und Masha Qrella entpuppen sich jeweils als überraschend schöne Songs, zu denen einfach Ausschnitte des Rhythmuswahns geloopt werden. Battles machen auf ihrer fulminanten Doppel-EP "EP C / B EP" (Warp) – egal ob man das nun Math Rock, Minimal Rock, Reduktionsrock oder Unrock nennen möchte – konzentrierte, komplizierte, kondensierte Musik. Straff gespannte Struktur, in der es bei aller Kontrolle allerdings nicht selten abgeht wie bei einem Freakout. Das unvermepopliche Wort ist hier: tight. Das gilt auch für den extrem runtergestrippten Dub von Amerika Ruby (ein junger Produzent aus Yokohama) auf der 12“ "Cosmic New / Alt" (Meteosound/MDM). Der karge Knochen eines Beats bewegt sich leicht ungelenk und schwer hypnotisch durch einen langen zwingenden Track, der mit einer krassen Streichermelodie endet: "Gloria in Excelsis Deo". Die B-Seite ist clubbiger und elctropoper, aber kaum weniger extrem.
Zum Abschluss doch noch ein ganz spezielles Synthetiksoundbonbon. Like A Tim glückt auf seiner langsamen, einfallsreichen 12“ "Wonderline" (Like Records) eine endlos ausgedehnte Witzpointe, die gleichzeitig ernsthafte Electro-Hommage ist. Stoisch (ver)spielt (sich) der Holländer auf der Klaviatur des andropopischen Rhythmusempfindens, findet immer die obligatorische Taste, das richtige Timing, den beängstigend überzeugenden Dreh zum unheimlichen Spaß eines penibel ausgereizten Valiumexzesses

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND2024]: So feiert die Post-Corona-Generation

Die Jungen feiern anders, sagen die Alten – aber stimmt das wirklich? Wir haben uns dort umgehört, wo man es lebt: in der Post-Corona-Generation.

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.