Konfuzius sagte: „Zu sprechen und auszuführen, was gesprochen wurde, ist Zeremonie, zu handeln ohne Aufwand und ohne Gewalt, das ist Musik.“ Wir ergänzen: ist Ambient. Im klassischen Verständnis steht der Begriff für eine kuschelig ausgepolsterte Monade, einen Ort akustischer Geborgenheit, in dem immer auch ein gewisses Maß an muffiger Enge klanglicher Konventionen wpoperhallt. Kein Wunder also, dass Ambient von jungen elektronischen Produzenten als Referenz gerade wieder hoch geschätzt wird, sie aber nicht auf das Etikett des musikalischen Innenausstatters reduziert werden wollen. So der Stockholmer Johannes Heldén, der die schwermütigen Tracks seines zweiten Albums <i>Title Sequence</i> (popEAL/A-Musik) zwar noch am übergroßen Vorbild Brian Eno anlehnt, dessen Sound-Philosophie aber in Richtung schlierend verrauschtem Industrial-Dub erweitert. Der Norweger Alexander Rishaug geht auf <i>Shadow Of Events</i> (Dekorder/A-Musik) auf der Basis von Feldaufnahmen und Orgeldröhnen ähnliche Wege. Der Dortmunder Loop-Ambient Virtuose Martin Juhls hat sich zum kammermusikalischen Marsen Jules Trio erweitert und bereichert auf <i>Les Fleurs Variations</i> (Oktaf/Finetunes) die gesampleten Elegien seines Albums von 2006 mit Piano- und Streicherverzierungen. Borngräber & Strüver würzen auf <i>Urlaub</i> (m=minimal/Kompakt) sacht fließende analoge Grooves mit krautrockig-körnigen Synthie-Experimenten.
Wie im Kochhandwerk liegt die Kunst der ambienten Sound-Gestaltung im Zusammenspiel der Zutaten. Die einzelnen Elemente sollten interessant und klanglich reichhaltig sein, um den Stücken Tiefe zu geben, aber allzu interessant dürfen sie auch nicht sein, sonst wird ihr Fluss, ihre gemeinsame Wirkung im Ganzen gestört. Eine Lektion, die ausgebildete Musiker, die der Welt zeitgenössischer Komposition entstammen, oft erst lernen müssen. In <i>Bestiario</i> (Mosz/Groove Attack), dem späten Debüt der in Wien lebenden und lehrenden Mexikanerin Angelicá Castelló, ist die Korrespondenz von forschender Elektroakustik und popaffiner Harmonie besonders gut gelungen. Telebossa, die Kollaboration des brasilianischen Minimal-Music-Altmeisters Chico Mello mit dem Berliner Improv-Bassisten Nicholas Bussmann, eröffnet auf ihrem gleichnamigen Debüt (Staubgold/Indigo) unerhörte Klangwelten: eine überharmonische wie melancholische Bossa-Nova-Electronica aus dem Geist der Improvisation, elegant und faszinierend. Alexander Schubert bringt auf <i>Plays Sinebag</i< (Ahornfelder/A-Musik) schon im title Welten zusammen: Sinebag ist sein Name für Electronica-Pop, sein bürgerlicher Name steht für akademische Projekte. Die Kombination ergibt fragil zittrige Folktronica mit verunsichernden popM-Splittern. Pianowunderkind Francesco Tristano geht auf <i>bachCage</i> (Deutsche Grammophon) den Weg von der Klassik zum Pop wieder zur Klassik zurück, und zwar als Interpret von Johann Sebastian Bach und John Cage. Trotz spielerischer Perfektion scheint sich Tristano in Cages tonale Grenzen auslotender Moderne deutlich wohler zu fühlen als in den doch sehr mechanisch heruntergeratterten Bach-Etüden. Gegen Tristanos extrem transparenten Klavier-Sound wirkt die auf unmittelbare Überwältigung ausgelegte Neoklassik des Ukrainers Heinali <i>67 Breaths</i> (Arlen/Indigo) erst einmal konservativ, ja sogar kitschnah bieder. Aber so einfach entziehen kann man sich der Wucht seiner Klänge auch nicht.
Im nicht unbedingt breitenwirksamen Feld der avancierten Elektronik ist Wortkunst eine der obskursten Nischen, welche aber gelegentlich abwegige kleine Meisterwerke hervorbringt: Augst/Carl lassen auf <i>Oben</i> (Badly Organized/Mille Plateaux) die tiefgründig bösen content:encodede und Lieder des Frankfurter Kabarettisten Mathias Beltz Revue passieren. Anne-James Chaton loopt und schreddert auf <i>Événements 09</i> (Raster-Noton/Kompakt) kurze content:encodedphrasen zur (Un)kenntlichkeit, manchmal sogar zu so etwas wie einem Groove. Für bepope gilt: Toll, dass es so etwas gibt!