E-Unity – Duo Road (TEMƎT Music)
Um das Jahr 2010 herum gab es Mittwoch für Mittwoch überhaupt nur eine Sache zu tun. Laptop an, Boiler Room rein und die Sounds der Insel genießen. So hörte vielleicht auch Simo Cell das erste Mal von Livity Sound und wurde von den verschachtelten Beats aus Pevs Jomox-Drum-Machine, den widerhallenden Synths, Strings und extravaganten Soundeffekten von Kowton und Asusu bei ihrer denkwürdigen Live-Show von 2012 geprägt. Dass der Franzose ein paar Jahre später dann von eben diesen Jungs veröffentlicht werden und so seinen Durchbruch feiern würde, hatte er sich wahrscheinlich damals vor dem Laptop vibend nicht mal in seinen kühnsten Träumen ausgemalt. Und jetzt ist es Simo Cell selbst, der mit TEMƎT Music sein eigenes Label startet und vielversprechenden Künstler*innen eine Plattform bietet. Die Katalognummer 001 kommt von E-Unity, ebenfalls Franzose, dessen vier Tracks einige Parallelen zum damaligen state of the art aus Bristol aufweisen. Von diffizilen Drum-Patterns à la Pearson Sound angetrieben und mit zahlreichen Effekten und Dub-Vocal-Samples garniert, präsentiert E-Unity seine bisher stärksten Tracks und liefert mit großem Fokus auf die Clubs ab. Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass die bald wieder aufmachen, damit man dieses starke Release angemessen zelebrieren kann. Andreas Cevatli
Lord of the Isles – Glisk Science EP (Beats in Space)
Lord of the Isles’ Glisk Science EP erfrischt inmitten pandemischer Verwirrungen. Neben eher skizzenhaften Live-Cuts wartet der Schotte mit zwei Ambient-Stücken auf, die das Capri-Eis in der Hand zum Schmelzen bringen. In „Electric Bae (Dub)” treibt ein energetischer Acid-Groove nach vorn – ohne melodischem Schnick-Schnack, dafür mit viel pump. Etwas verspulter geht es bei „Unnsa” zu. Auch hier bleibt es zwar 4-to-the-floor, die Drums wirken aber organischer und nicht so aufgeladen. Wohlklingende Synths kreieren einen sanften IDM-Vibe – die Assoziation: Aphex Twins „Xtal”, nur geradliniger, reduzierter. Die B-Seite entfernt sich dann von der Tanzfläche. Sie grüßt mit warmen Melodien, in die man sich glatt hineinlegen möchte („Glisk Science”). Ein balearisches Flair macht sich breit: Am Pool nach einer durchzechten Nacht im Corona-Sommer-Urlaub, die Sonne knallt und das süffig-leichte Mittelmeer-Bier schmeckt wieder. „Sisters” komplettiert die zweite Hälfte, der man anhört, dass sie eigens für eine Show im Sydney Opera House komponiert wurde. Die Platte ist antiklimaktisch aufgebaut: Der schwächere erste Part prischt wuchtig, aber ein wenig einfallslos voran und wird aufgefangen von einer starken B-Seite, die mit einem warmen Bauchgefühl in die Wintermonate verabschiedet. Shahin Essam
Olivia – Dancing Snake (Pinkman)
Karolina Marut alias Olivia gehört zu den wichtigsten Aktivistinnen der Krakauer Club-Szene und zum Pool der Resident-DJs beim jährlichen Unsound-Festival der Stadt. Nach ihrer Debüt-EP Skawa, die 2018 ausschließlich auf Kassette erschien, konkretisiert nun Dancing Snake ihr musikalisches Terrain. Und das ist glücklicherweise weit entfernt von trendigen Klischees und pflegeleichten DJ-Tools. Olivia schafft es, discoide Funkyness und einen gewissen Industrial-Aspekt wie selbstverständlich zu verschmelzen, oft geschickt verlötet durch geschmeidige Acid-Lines und interessant eingesetzte Analogsynthie-Sounds und -Elemente. Vor allem diese Synthesizer-Behandlung und Olivias Affinität zu etwas schrägen Klängen und leicht atonalen Melodien geben der EP einen vitalen Charakter und einen energetischen Biss. Das Tempo der vier Stücke ist eher im unteren House-Bereich angesiedelt, was den zeitweise recht harten Drum-Sounds einen Teil ihrer Brachialität nimmt. Die Arrangements wiederum verweigern sich ein Stück weit der üblichen Dramaturgie, verzichten auf Breakdowns und ähnliche Standards und erinnern in manchen Passagen an instrumentalen abstrakten Post-Rock oder Frühachtziger-No-Wave – wahrlich nicht die übelsten Assoziationen. Mathias Schaffhäuser
Surgeon – Europa Code (Ilian Tape)
Nach dem überragenden The Golden Sea legt Surgeon mit Europa Code nach und pusht erneut eine Energie, die aus Fabrik-Vibes und einer ordentlichen Portion Mystery organisch heranreift – hochinteressant ist das mal wieder! Intermittierendes Schimmern reibt sich in „Winged Assassin” an verspulten Lead-Riffs, während „Europa Code” die BPM-Zahl drosselt und durch drahtige Motivschleifen in geheimnisvolle Dunkelheiten vorstößt. Das Beeindruckende dabei ist, dass trotz stark synthetischem Klangeinsatz stets das Gefühl aufkommt, das Ganze könnte irgendwie auch von einer mehrköpfigen Band eingespielt worden sein. Eine produktionstechnische Enttäuschung vom Briten ist aber ohnehin etwas sehr Unwahrscheinliches. Wenn schlussendlich noch ein Peaktime-Banger wie „Crater 101” durch die heimelige Stereoanlage brettert, wird zusätzlich die Psyche des*der mittlerweile entzugsgeplagten Raver*in ernsthaft belastet. Die Frage der Qualität muss da nicht gestellt werden – super EP! Lucas Hösel
Technobeton – Technobeton 2020 EP (Italo Moderni)
„Technobeton ist 100% Beton und 100% Techno” lautet die Selbstauskunft des mysteriösen Acts, dessen Spuren unter anderem nach Sofia und Stuttgart führen. Allerdings erfüllt diese Beschreibung eher den Tatbestand der Irreführung: Mit Techno haben die drei Tracks der Debüt-EP auf Italo Moderni weniger zu tun. Analog zu dem im Namen des Imprints formulierten Anspruch des spanischen Labels entsprechen sie eher einem Update von Italo Disco. „No No” spielt, nachdem eine Maschinenstimme die Leere des Lockdowns beklagt hat („No love, no power, no people, no pain / No lights, no shadows, no music, in vain”), mit den zickigen Stabs von Dharmas „Plastic Doll” herum, bevor die Nummer abhebt. Im epischen Franz-Scala-Remix erklingt anstelle der Vocoder-Lyrics ein Female-Vocal. „Oh Meine Güte” schubst eine schwäbische Clubberin mit den Worten „Ich bin total verpeilt, ich dacht, heut is Samstag! Heut isch Freitag? Das ist ja wunderbar! Ich hab’s total verrafft” auf den Dancefloor. Wird manchen, ähnlich wie der Protagonistin, ein Lächeln ins Gesicht zaubern, anderen nicht. Wessen Humor das nicht trifft, könnte mit dem epischen Moroder-Track „2020” glücklich werden. Anyways: Toller Einstand, der auf mehr hoffen lässt. Harry Schmidt