Text: Michael Döringer
Erstmals erschienen in Groove 152 (Januar/Februar 2015)
Es fehlt etwas in der Panorama Bar, nachdem Achim Brandenburg vor zwei Jahren seine Residency aufgab: Prosumer hatte aufgrund von professionellen Differenzen sein angestammtes Resident-Nest verlassen, das er geprägt hat wie wenige andere. So schmerzlich das für die Fans war, so überflüssig ist das Gejammer darüber – für Prosumer war der Weg raus aus Berlin, wo er 13 Jahre lang in Kreuzberg lebte, und rein in die Welt ein wichtiger Schritt nach vorne.
Sympathie-Wettbewerbe würde Prosumer sowieso gewinnen, ist er doch als House-DJ mit starker Disco- und Pop-Schlagseite einer der beliebtesten weltweit. Von seiner neuen schottischen Heimat in Edinburgh aus reist er seit zwei Jahren um den Globus, und nun gibt es auch anderweitig Neuigkeiten: Vor kurzem durfte Achim Brandenburg den neuesten Mix der Fabric-Reihe zusammenstellen, und mit seinem langjährigen musikalischen Partner Murat Tepeli (mit dem er die erste LP auf Ostgut Ton veröffentlichte) hat er soeben das eigene Label Potion gelauncht. Sie gehen auch wieder mit einer neuen Liveshow an den Start. Viele Dinge, über die es sich ausführlich zu reden lohnt. In seiner alten Kreuzberger Nachbarschaft. Seine neue Berliner-Residency hat er nämlich im Südblock, wo er einmal im Monat mit DJ-Kollegin Tama Sumo ein Pub-Quiz veranstaltet.
Achim, lass uns zurückgehen: ins Saarland, wo du aufgewachsen bist. Du hast in Interviews oft erzählt, dass du eine eher schwierige Jugend hattest und dich die Musik sozusagen gerettet hat. Mit House und Techno bist du in Berührung gekommen, als um 1994 in Saarbrücken eine Hard Wax-Zweigstelle aufmachte. Warum aber diese Musik? Hätte es Anfang der 90er nicht bessere Subkulturen für wütende oder traurige Teenager gegeben?
Der Grundstein war viel früher gelegt. Zu behaupten, ich hätte schon Anfang der 80er Proto-House gehört, ist zwar ein bisschen Humbug, aber ja: Human League und so fand ich geil. Natürlich nicht die coole B-Seite, sondern als Pimpf im Saarland bekam ich nur die Hits. Eine Bekannte meiner Eltern hatte beim Saarländischen Rundfunk gearbeitet, und ich als musikvernarrtes Kind bekam Plattenpakete von ihr, Compilations, die die Sender nicht brauchten. Es gab da ein paar, die ganz großartig für mich waren, und die wichtigste war eine Virgin-Compilation mit Extended-Mixen, wie „Safety Dance“ von Men Without Hats. Da war ich vielleicht gerade mal in der Schule. Auf der Platte war auch Montana Sextet mit „Who Needs Enemies With A Friend Like You“, die Nummer habe ich rauf und runter gespielt. Wäre das vor ein paar Jahren als Moodymann-Track rausgekommen, hätte es niemanden gewundert. Aber ja: Zu gewissen Zeiten wäre bei mir die Emo-Ecke angebrachter gewesen, aber da war es schon zu spät.
Wenn du heute kein DJ wärst , dann …
Keine Ahnung!
„Nicht ausgeschlossen, dass ich irgendwann in Schottland Schafe hüte, Wolle verarbeite und Schafskäse mache.“
Und wenn du es dir raussuchen könntest?
Ich bin schon ziemlich happy mit dem, was ich mache. Es ist nicht so, dass ich oft dasitze und denke: Wäre ich doch bloß Käsemeister oder Bierbrauer. Schafhirte ist aber nicht so unrealistisch, vielleicht mein Plan F. Nicht ausgeschlossen, dass ich irgendwann in Schottland Schafe hüte, Wolle verarbeite und Schafskäse mache. Ich habe vor ein paar Jahren auch noch eine Ausbildung zum Mediator gemacht, darauf würde ich wahrscheinlich als Erstes zurückgreifen. Wenn ich es mir aussuchen könnte, dann natürlich etwas, um die Welt zu retten – die Energiefrage lösen, große Krankheiten bekämpfen. Aber wie du siehst, setze ich mich nicht wirklich damit auseinander (lacht).
Denkst du denn manchmal: Es gibt so große Probleme in der Welt und ich spiele hier nur ein paar Schallplatten?
Ja. Nicht dass ich sage, ich habe mein Ziel verfehlt und ich könnte etwas viel Wichtigeres tun, aber es gibt Momente, wo ich mich schäme, was für eine Wichtigkeit dieser ganzen Geschichte beigemessen wird. Thema Russland zum Beispiel: Dort aufzulegen war schon vor dem Anti-Homosexuellen-Gesetz runter von meiner Liste, weil es mich fertiggemacht hat, dort zu spielen. Wenn du in einem Laden stehst, wo dir ganz klar ist, dass die fünf hübschen Mädels in der ersten Reihe dem Türsteher einen geblasen haben, um reinzukommen, und hier sind, um einen reichen Typen abzuschleppen. Und auf der anderen Seite sind diese reichen Typen, die mit allem um sich werfen. Dort hast du wirklich fieseste soziale Unterschiede vor dir. Auf dem Weg nach Moskau fuhr ich durch Viertel, wo es den Menschen offensichtlich schlecht geht, vorbei an Plakaten für die Millionärsmesse.
In einem solchen Moment weiß ich wirklich nicht, wie ich mich hinstellen soll, um die Leute zu unterhalten. Klar kann ich argumentieren, dass ich den Menschen vielleicht eine Fluchtmöglichkeit aus ihrer Realität eröffne. Vielleicht bedeutet es dem ein oder anderen Homo im Laden, der weiss dass ich schwul bin, etwas, dass ich mit dem, was ich mache, Erfolg haben darf. Damit kann ich es mir schönreden. Ich weiß aber, dass ich in dem Moment, wo ich mich da hinstelle, genau so eine Nutte bin und etwas unterstütze, das ich als Sackgasse empfinde. Natürlich werden mir zig Veranstalter garantieren, dass mir dort auch als offen Homosexuellem nichts passieren wird. Da muss ich mich aber fragen: aufgrund von was? Weil Geld im Spiel ist? Weil ich aus dem Westen komme und so weiter? Das funktioniert nicht so richtig.
Du hast Berlin Richtung Großbritannien verlassen, für das beschaulichere Edinburgh. Eine Entscheidung für weniger Trubel. Sind die wilden Jahre vorbei?
Es war eine Entscheidung für die Balance. Wir haben alle unsere Kapazitäten, und wäre ich hier geblieben, hätte ich mein Pensum an dem, wie oft ich auflegen kann, runterschrauben müssen. Berlin bietet wahnsinnig viel, aber selten echte Erholung. Klar, ich habe einen Gegenpol zu meinem Job gesucht, doch das hat auch zur Folge, dass ich am Wochenende wieder mehr dabei sein kann. Was Edinburgh fehlt, habe ich ja dann, wenn ich in Städten bin, wo ich wieder wie in Berlin das Schöne im Dreck finden kann.
Wie wohnst du denn in Edinburgh?
Das Gerücht, ich hätte mir ein Schloss in Schottland gekauft, stimmt leider nicht (lacht). Aber ich habe echt Glück gehabt mit meiner Wohnung: fünf Minuten zu Fuß vom Zentrum entfernt, allerdings wahnsinnig ruhig und idyllisch. Mein Haus liegt in einem kleinen Tal an einem Flüsslein, wo keine Autos vorbeifahren können. Da schwimmen immer Enten, Reiher stehen rum, und auch Otter wurden gesichtet. Anfang des Jahres habe ich zum ersten Mal einen Eisvogel gesehen, die scheinen da im Tal zu nisten. Das ist schon sehr geil!
Hast du auch schon schottische Freunde gefunden?
Ja, ich hatte ganz schnell ein Heimatgefühl dort. Während des Probewohnens habe ich bereits Kontakt zu den Leuten von Firecracker aufgebaut, also Lindsay Todd, der das Label macht, Fudge Fingas und Linkwood. Da wurde mir schon früh klar, dass ich nicht vereinsamt am Fenster sitzen muss, sondern es genug nette Leute gibt, mit denen man sich zum Bier treffen und auch mal über Privateres reden kann als nur Auflegen.
Das riecht trotzdem nach Zusammenarbeit.
Lindsay macht auch noch die Labels Unthank, Shevchenko und Sacred Summits, fertigt alle Artworks an und druckt alles selbst. Ich fange ja wieder an, mit Murat Tepeli Liveshows zu spielen, dafür hat Lindsay die Visuals gemacht. Es sollte eine Mischung aus etwas ziemlich Miefigem und trotzdem Abgefahrenem werden, und jetzt haben wir eine Art Weltraum-Superhelden-Urlaubs-Diashow, für die Lindsay Comicwelten entworfen hat.
Arbeitest du mit Murat schon an neuer Musik?
Nur an der Liveshow, aber da hat man als Abfallprodukte immer Stücke, die daraus entstehen. Noch ist aber nichts fertig aufgenommen, um es zu einer gemeinsamen Platte zu machen.
Wie sieht es mit eurem gemeinsamen Label Potion aus?
Unsere erste Platte ist jetzt draußen, „Drop It Like It’s Hot“ von Murat. Ein Stück davon ist auch im Fabric-Mix. Leider zieht sich gerade alles, weil die Produktion von Vinyl ewig dauert. Wenn nun auch bei Urban Outfitters Reissues von Platten verkauft werden, verändert das eben den Markt. Wir haben in der Pressemitteilung scherzhaft geschrieben, dass die Eltern Murat Tepeli und Prosumer sich entschlossen haben, nach all den Jahren fruchtbarer Beziehung nun endlich ein Kind zu haben, nämlich Potion, und dass wir uns Mühe geben, es nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen. Es ist leichter geworden, Sachen wieder selbst zu machen. Der Digitalbereich wie Beatport ist mir persönlich ziemlich fremd und eine Welt, wo ich nicht weiß, was ich damit zu tun habe. Etwas wie Bandcamp hingegen, wo man alles selbst macht, das verstehe ich schon besser. Das zweite Release wird dann von Wilma sein, Jungs aus Kopenhagen und ebenfalls auf meinem Mix. Und natürlich wird was von mir kommen.
Stream: Murat Tepeli – Drop It Like It’s Hot EP
Die offensichtliche Frage zu deinem Mix: Ist das noch etwas Besonderes für dich? Du hast ja schon Mixe für Panorama Bar, FACT und Resident Advisor gemacht.
So wie ich jedes Wochenende noch aufgeregt und nervös bin und hoffe, dass die Platten zusammenfinden, so ist es auch bei einem Mix. In diesem Fall ist es noch ein Stück abstrahierter, weil ich nicht einfach wie im Podcast Sachen zusammenpacken kann, sondern die Lizenzierung als Zwischenfilter funktioniert.
Gab es in diesem Fall Probleme?
An manche Sachen kommst du nicht ran. Wenn etwa nicht klar ist, wem die Rechte gehören. Beispielsweise habe ich zwei Stücke von Armando drauf, der vor vielen Jahren verstorben ist. So etwas ist immer heikel.
Wieviel hat der Mix für dich mit dem Club zu tun?
Der Mix hat hauptsächlich mit meinem ersten Fabric-Erlebnis zu tun, 2000 war dass, glaube ich, als ich als Gast da war. Da habe ich Judy Griffith kennengelernt, die für Fabric arbeitet – ein wahnsinnig warmherziger Mensch, der für mich ganz viel von Fabric ausmacht. Wenn ich mit Kollegen im Flieger sitze, sagen die auch oft nur, sie spielen heute bei Judy. Das ist ein emotionaler Link für mich. Es gibt ein Stück von I-f auf der CD, das ganz stark mit diesem ersten Fabric-Erlebnis in Raum 2 verbunden ist. Ich wusste sofort, dass das dabei sein muss.
Video: Fabric 79 – Teaser
Das I-f-Stück, auch wenn es niederländisch ist, bringt auch ein wenig britische Kühle in diesen souligen Mix. Hat dich das Leben in Großbritannien auch musikalisch ein wenig geprägt oder verschoben?
Oh ja. Das soll kein Vorwurf sein, aber wir wachsen in Deutschland nicht mit einer großen musikalischen Bandbreite auf. In UK ist es normal, dass dein Onkel eine Jazz- und Soulsammlung mit lauter Klassikern hat. Das liegt an einer vielseitigeren Radiolandschaft, aber auch einer durchmischteren Gesellschaft – wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, hier aufzuwachsen, während nebenan cooler Reggae läuft? Natürlich ist hier etwas entstanden, das als Exportschlager in der ganzen Welt funktioniert: Berliner Sound, Techno, House. Das ist toll, aber persönlich genieße ich es gerade in einem Land zu leben, wo die Leute offensichtlich an mehr Vielfalt gewöhnt sind. „Claptrap“ von Joe, 2010 auf Hessle Audio, ist so eine Platte, mit der ich die ersten Male in der Panorama Bar die Tanzfläche leergespielt habe. Das Ding war irgendwann ein Hit, aber das musste man bei vielen Leuten erst etablieren, weil mit dem Beat nicht selbstverständlich alle klargekommen sind. Oder die Nummer, die ich quasi als Bonustrack auf dem Mix hinten dran habe [Tommy McGee & E.R.A. — „She’s Got Her E.R.A.“], das habe ich auch schon als Zugabe gespielt, als ich noch hier gelebt habe. Aber in UK, im richtigen Laden, kannst du die Leute damit auch zum Ausrasten bringen.
Wir können die Vergangenheit immer noch nicht auf sich beruhen lassen. Fans fragen sich: Wirst du jemals wieder in der Panorama Bar auflegen?
Natürlich macht dich das als DJ glücklich, wenn du Leute glücklich machst. Das ist ein Punkt, wo es einen selbst auch schmerzt. Aber auf der anderen Seite ist es ehrlich gesagt eine Weile her, und vielleicht kann man das Kapitel jetzt auch endlich abschließen. Ich hatte dort eine tolle Zeit und denke an die guten Jahre dort gerne zurück.
Du bereust also keine Entscheidung?
Ich bin dort, wo ich bin, sehr zufrieden. Und es ist ein schönes Gefühl, auf eigenen Beinen zu stehen, unabhängig zu sein und zu wissen: Ich vertrete das, was ich tue, so stark, wie ich es auch nur vertreten kann – mit meinen Unsicherheiten als Mensch.
In einem Interview 2010 hast du gesagt, du fühlst dich schon sehr sicher beim Auflegen, das wäre früher ganz anders gewesen . Ist dieses Gefühl noch stärker geworden?
Ich kann mich zwar auf Fähigkeiten als DJ verlassen, aber fühle ich mich emotional noch genau so angreifbar wie früher. Beispielsweise gibt es leider den Trend, dass immer weniger Licht für die Tanzfläche gemacht wird, sondern für den DJ. Die Spots sind auf dich gerichtet, während links und rechts die Lightshow abgeht, damit alle schön nach vorne gucken. Das passt mir gar nicht. Mein erster Clubjob war auch, Licht zu machen. Und wenn du mal in Japan in einem Laden wie Eleven warst, wo die Lightjockeys mit jedem Beat und jeder Stimmung mitgehen, dann weißt du, wie du für mehr Euphorie sorgen kannst, für mehr Glück, und das Erlebnis komplett intensivieren kannst. Im Rampenlicht zu stehen ist für mich so unnatürlich, dass ich mich oft nicht so locker machen kann wie in einem dunklen Laden, wo ich genug Licht zum Arbeiten habe, aber nicht dazu, um mich gut filmen zu können.
Hat dich die Job-Routine irgendwie verändert und deinem Leben eine Balance verliehen?
Ach, man kann mich noch wunderbar aus meiner Balance bringen. Aber wenn ich mich mit manchen Kollegen vergleiche, dann habe ich das Gefühl, so ein bisschen besser mit dem ganzen Trubel zurechtzukommen, und vielleicht auch eine realistischere Einschätzung davon zu haben, was es bedeutet, was da am Wochenende auf dich einprasselt: Leute gehen aus, um eine gute Zeit zu haben. Für mich und viele andere ist Musik da ein riesiger Bestandteil. Doch egal, wie sehr das für mich im Vordergrund steht. Es ist nicht Hauptteil von dem, was dort passiert. Und natürlich bist du als DJ nicht die Hauptursache. Wenn du dir als DJ die Reaktion der Menschen auf die Gesamtsituation in dein Büchlein schreibst, nach dem Motto: „Ey, bin ich jetzt ein geiler Hecht, weil die alle gefeiert haben!“, halte ich das für wahnsinnig gefährlich. Mir persönlich ist auch noch sehr präsent, dass ich lange genug der Idiot war, der mit „Hey hör dir mal die Platte an“ Leute genervt hat und dafür ausgelacht wurde. Ich habe Glück gehabt, dessen bin ich mir bewusst. Nein, meine Persönlichkeit hat sich nicht geändert, sondern die Situation um mich herum. Im Endeffekt mache ich noch das Gleiche wie mit 13, als ich für genau die gleichen Sachen der Vollidiot war.