Text: Sebastian Weiß, Foto: Julia Holtz
Erstmals erschienen in Groove 147 (März/April 2014)
Marco Niemerski macht keinen Hehl daraus, dass Popmusik für ihn das Nonplusultra ist. Kann überraschen, muss aber nicht. Spätestens seit seinem Hit „Coma Cat“, aber noch mehr durch seine Veröffentlichungen auf Running Back oder Permanent Vacation definiert er seinen Funk (oder Pop) aus den Zutaten Achtziger-Disco und Neunziger-House. Retrodebatten interessieren den gebürtigen Hamburger nicht, auch wenn sich der leidenschaftliche Spielezocker, Live-Act und Betreiber von Mirau heute Platten eher aus nostalgischen Gründen anschafft: „Früher habe ich noch viel mit Vinyl aufgelegt, heute kaufe ich kaum noch Platten, wenn dann altes Zeug fürs Zuhause-Hören“, sagt der 38-Jährige. Tut der feinen Auswahl aber beileibe keinen Abbruch.
Chic – I Want Your Love (Atlantic, 1978)
Der Track steht eigentlich stellvertretend für viele tolle Chic-Stücke und war tatsächlich die allererste Platte, an die ich mich erinnern kann, die ich in den Händen gehalten habe. Durch die Plattensammlung von einem meiner Brüder bin ich gerade beim Cover hängengeblieben, all die Typen in Anzügen und die ganzen Mädels. Es ist eines der schönsten Stücke von Chic, weil ihr Disco nicht funny, sondern gerne mal melancholisch ist.
Chemise – She Can’t Love You (Emergency Records, 1982)
Als ich zehn Jahre alt war, habe ich bei einem Kumpel immer Musik gehört, während wir in Unterhosen C64 gezockt haben. Dessen älterer Bruder hatte diese ganzen alten Boogie-Tapes und da lief gerne mal Chemise. Dieser Track ist Wahnsinn mit seiner sehr reduzierten Produktion, die Chords und Beats sind fantastisch. Gerade diese Groove-Orientierung, der Rhythmus ist absolut vorn, aber trotzdem minimal. Das marschiert so durch und bleibt schön unten, bis auf die Vocals über die „Probleme“ aus der Diskothek. Klasse!
The S.O.S. Band – Just Be Good To Me (Tabu Records, 1983)
Ich bin ein riesiger S.O.S. Band-Fan. Ich könnte auch „High Hopes“ nennen, denn die haben viele wundervolle Stücke, wobei „Just Be Good To Me“ sicherlich ihr größter Hit ist. Wurde ja auch immer wieder gecovert, zu Recht. Die haben ihren ganz eigenen Sound und ich werde die Band immer mit meiner Kindheit verbinden. Wenn ich die höre, muss ich viel an Geschichten aus der Jugend denken, etwa die unbeschwerte Freude am C64-Klassiker Krakout.
Inner City – Big Fun (KMS, 1988)
Ich habe das Stück erst ein paar Jahre nach der Veröffentlichung wahrgenommen, das lief bei MTV hoch und runter. „Big Fun“ und „Good Life“ sind eigentlich relativ identisch, im Prinzip ist es der gleiche Song, aber ich mag „Big Fun“ mehr. Hier habe ich das erste Mal gemerkt, dass etwas elektronisch produziert wurde. Einfach, weil es anders klang – totales Ohrwurm-Ding. Keine Ahnung, wie die das gemacht haben. Zeitlos!
Rhythim Is Rhythim – Strings Of Life (Transmat, 1987)
Hab’ ich auch deutlich später kennengelernt und ist nach wie vor grandios, die Akkorde alleine sind zum Heulen schön. Einfach alles, ein absolutes Meisterwerk. Gehört habe ich den Track das erste Mal auf der Mayday in Dortmund. Ich kannte zwar elektronische Musik bereits aus dem Hamburger Club Front, aber Derrick May war next level shit. Und je nach Tagesfassung klingt das schön oder traurig, das ist das Geheimnis. Ich war und bin nach wie vor geflasht, wenn ich den Track höre. Einzigartig!
Metro Area – Miura (Environ, 2001)
Morgan Geist und Darshan Jesrani sind schon so etwas wie Idole für mich. Auf jeden Fall haben mich ihre Tracks stark motiviert, selbst mit dem Produzieren anzufangen. Ihr Talent, Clubmusik und den ganzen Komplex aus Disco-, Funk- und Boogie-Sounds miteinander zu verbinden, ist phänomenal. In „Around The House“, meinem ersten Track für Mirau, habe ich eine Bassline mit Delay drin, die definitiv von diesem Track inspiriert wurde. Vielleicht kommen sie ja auch zu meiner Release-Party in London.