Text: Numinos
Erstmals erschienen in Groove 141 (März/April 2013)
Während in den guten Stuben der Republik über Weihnachten wohl vornehmlich Plätzchen gebacken wurden, hat man bei der Berliner Softwareschmiede Ableton die neunte Version der beliebten DAW Live aus dem Code-Ofen geholt. Da wir leckerem Naschwerk, noch mehr aber frischer Audiosoftware immer sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, haben wir natürlich nicht gezögert, uns die noch dampfende Version auf die Festplatte zu packen und zu probieren.
Revolution Nummer Neun
Diesen Testbericht mit dem Zitat der ikonosonischen (seinerzeit mit Tonband realisierten) Audioschleife der Beatles einzuleiten ergibt durchaus Sinn, denn nach wie vor ist das Zusammenstellen und Editieren von Loops, die in frei verschieb- und modulierbaren Clips zusammengefasst werden, eines der Kernfeatures von Ableton Live. Damit das noch schneller und leistungsfähiger vonstattengeht, bietet die neue Version die Möglichkeit, Automationsdaten für jeden Clip direkt in der Session-Ansicht zu erzeugen und zu bearbeiten. Mehr noch: Ein markierter Loop-Bereich innerhalb des Arrangement-Views wandert auf Mausklick direkt als komplette Szene mit allen Clips und Automationsdaten in den Session-View. Geheckspoilert wird die Sache noch durch die neu hinzugekommene Möglichkeit, Automationsdaten auch über eine Kurvenfunktion zu editieren – sehr gut.
Vom Suchen und Finden
Ein offensichtliches Facelifting wurde dem Browser verpasst: Statt der bisherigen in verschiedene Tabs unterteilten Ansicht gibt es nun eine Ein-Fenster-Ansicht, in der Samples, Instrumente, Effekte, Presets und VST-/AU-Plug-ins gleichberechtigt über die zugehörigen Icons in der linken Ecke erreichbar sind. Schön auch, dass die Suchfunktion jetzt „vorausschauend“ arbeitet und bereits beim Tippen von Wortbestandteilen mit dem Stöbern beginnt (ähnlich, wie man es beispielsweise von Google kennt). Und das ist auch gut so, denn wer sich für die Suite-Version von Live entscheidet, der sieht sich urplötzlich mit 50 Gigabyte Soundfutter konfrontiert, das es zu durchsuchen gilt. Hilfreich dabei, dass sich nun nicht nur Einzelsamples, sondern auch komplette Instrumente vorhören lassen.
Transformationen
Das Schokoplätzchen in der Update-Keksdose dürfte aber fraglos die neue Audio-to-MIDI-Funktion sein. Drei Algorithmen stehen hier zur Auswahl (Harmony/Melody/Drums), um das ihnen zugeführte Audiomaterial in MIDI-Noten inklusive einem wiedergebenden MIDI-Instrument (Piano/Mono-Synth/Drum-Sampler) zu transformieren. „Heureka, endlich nicht mehr Noten heraushören müssen“, höre ich da die einen rufen, „Sakrileg, das führt ja zu noch mehr uninspirierter Musik, wenn alle alles nur noch kopieren“, die anderen, und die Wahrheit liegt – wie immer – irgendwo dazwischen. Zunächst einmal muss man den Programmierern attestieren, dass sie die Aufgabe tadellos gelöst haben: Akustisch klar definierte Einzelspuren werden mit absolut vertretbarer Rechengeschwindigkeit und erstaunlich präzisem Ergebnis in MIDI-Clips verwandelt. An ihre Grenzen stößt die Funktion da, wo es beispielsweise darum geht, die Instrumentierung eines Drumloops zu dekonstruieren, denn der Algorithmus kennt nur Kick, Snare und Hi-Hat – bereits eine Cowbell oder eine offene Hi-Hat müssen händisch gesetzt werden (die Schläge an sich werden aber erkannt). Auch genügt es bereits, ein E-Piano durch einen Wah-Wah-Effekt zu verzerren, damit die Harmonie-Erkennung bei den resultierenden Resonanzfrequenzen von Noten ausgeht und entsprechende Geister-Events produziert. Aber wer würde das auch erwarten – im Ergebnis jedenfalls ist die Funktion in vielen Szenarien äußerst hilfreich und es macht schlicht und ergreifend einen Heidenspaß, seine Sample-Library einfach mal als MIDI-Noten zu zerpflücken.
Drum und Dran
Alle neuen Funktionen der aktuellen Version vorzustellen, würde den Rahmen dieser Ausgabe komplett sprengen – nicht unerwähnt lassen wollen wir aber mindestens den neuen „Glue Kompressor“, dessen Ratio-Parameter (2,4,10) es schon erahnen lassen: Hier wurden die klanglichen Qualitäten des SSL-Klassikers nachempfunden. Mächtig aufgemotzt wurden auch der „EQ-Eight“, der nun über ein Realtime-Spektrogramm, Band-Solo-Listen und optimierte Filter verfügt. Echtzeit-Anzeigen haben übrigens auch Einzug in das Kompressorund Gate-Plug-in gehalten, was dem Bedienkomfort fraglos sehr zuträglich ist.
Fazit
Mit dem Versionssprung auf die Neun hat Live sowohl in Bezug auf die Ausstattung, die Funktionstiefe, aber auch und besonders in vielen kleinen Details des Workflows einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. So weit, dass man dieses Update ohne Wenn und Aber als empfehlenswert bezeichnen muss. Appetitliche Update-Preise machen den Umstieg für bestehende Live-User schmackhaft, Erstkäufer erhalten für ihr Geld das beste Live aller Zeiten.