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Electronica

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Ein ehemaliger Autor dieser Kolumne meinte neulich während einer spätabendlichen Fachsimpelei, dass er hier über vieles geschrieben habe, nur nicht über Electronica. Wie gut, dass ich den Topf vom Herd nehme, bevor die Milch anbrennt. Das Label n5MD aus Oakland/Kalifornien hält seit fast zehn Jahren die Fahne für die popyllische, persönliche Seite von Electronica hoch – nicht in jeder Veröffentlichung, in manchen aber dann gleich doppelt. <i>Music For the Forest Concourse</i> (n5md/Cargo) von <b>Near The Parenthesis</b> alias Tim Arndt ist so eine Platte: schillernde Downtempo-Arrangements mit einem Piano in der Mitte, oder einer verwehten Orgel („Not Here, Not Tonight“, „Diffused“). Alles klingt herzlich, feierlich bis in die Fingerspitzen – musikalische Glückskekse, die so lange zwischen Moll und Dur oszillieren, bis der abendländische Quintenzirkel endlich das Feld räumt und im Noise kollabiert.<br/>
Weitaus urbaner geht <b>Derus</b> neues Album <i>Say Goodbye To Useless</i> (Mush/Cargo) ans Werk: Hier werden die Harmonien an die Felgen schicker Westcoast-Beats geheftet. Die Tracks ballern nicht nur, sondern bergen auch so manche Überraschung: zum Beispiel die Triolen einer echten Holzbläser-Sektion („Fadeaway“) oder einen gesampleten französischen Chansonnier, der in einem riesigen Hallraum graduell zum Schlumpf mutiert („I Would Like“, „I Want“). Die Hölle klingt cool, und sie befindet sich bestimmt irgendwo in Los Angeles. Vielleicht aber auch mitten in Schottland – genauer gesagt in der Talkbox von <b>Rudi Zygadlo</b>. <i>Great Western Laymen</i> (Planet Mu/Groove Attack) macht ausgiebigen Gebrauch von diesem Zappa-Effekt und hat auch andere Dinge im Gepäck, die eigentlich streng verboten sind: markerschütternde Brass-Leadsounds, Achtziger-Snaredrums und vieles mehr. Je länger man diesem Spektakel aber beiwohnt, desto weniger ironisch wirkt es. Dies ist eine originelle, irgendwie auch futuristisch anmutende Allianz aus kontrolliertem Songwriting und virtuos eingesetzter Elektronik.<br/>
<b>Sylvain Chauveaus</b> <i>Singular Forms</i> (Type/Morr Music) wirken dagegen bar jeden Klamauks: ein Piano, eine Stimme, eine weiße Wand mit kleinen Rissen, sonst nichts. Diese formale Strenge muss man erst mal meistern. Aber jeder Ton, jeder Auftakt wird bei Chauveau zum Ereignis. Und beim Hören würde man zwei Vokale seines Vornamens irgendwann gerne vertauschen: <i>Singular Forms</i> ist unverkennbar Sylvain, gleichzeitig aber eine gelungene Hommage an einen ganz Großen der Popgeschichte. Das Duo <b>Klangwart</b> – Timo Reuber und Markus Detmer – schätze ich seit seiner ersten Veröffentlichung (damals noch auf Kassette), und seine dichten Ambientcontent:encodeduren versetzen mich auch heute noch in Hypnose. Auf Klangwarts bisherigen Veröffentlichungen befanden sich meist zwei Stücke, jeweils über eine gesamte Plattenseite hinweg. Die neue LP <i>Sommer</i> (Staubgold/Indigo) schiebt die Zeitleiste zusammen und präsentiert Tracks zwischen vier und acht Minuten: fiebrige Samples und Oszillatoren-Feedbacks, manchmal in sich geschlossen, manchmal aber auch von Harmoniaeskem Maschinenpuls und bedrohlich tiefen Bässen vorangetrieben. Diese Musik ist magisch und unberechenbar – genau wie die Jahreszeit, die Klangwart hier genial vertonen. <b>Philippe Petit</b>, der beim ersten Track „Hitzefrei“ dabei ist, verknüpft sein vielfältiges Instrumentarium auf seinem neuen Album <i>A Scent Of Garmambrosia </i>(Aagoo) mit orchestralen Situationen: Diffuse akustische Gebilde aus Streichern, Harfen, Tuben und Trompeten schweben am Firmament und erzeugen einen post-klassischen Film Noir. Nun zur letzten Platte, die wirklich toll ist: <b>Ametsubs</b> <i>The Nothings Of The North</i> (Mille Plateaux/Vertical Form) erschien bereits vor einem Jahr auf dem japanischen Label Progressive Form und ist jetzt via Lizenzierung an das wiederauferstandene Mille-Plateaux-Label auch bei uns erhältlich. Spielend leicht verbinden sich hier digitale Störgeräusche mit Microsampling, Klavier, Funk und klassischen Electronica-Elementen. Alles swingt, bis ins kleinste Detail.

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