Warp wirft in letzter Zeit mit großartigem Material nur so um sich, man mag kaum glauben, dass das Label auch schon mal stiller war. Der Ritterschlag durch einen Vertrag mit den Londonern ist jedenfalls zurzeit so adelnd wie wenig anderes. Unlängst wurde Stephen Wilkinson alias Bibio in die Runde aufgenommen. Seinen Platz unter den Elektronikpionieren hat sich der Brite aus den West Mpoplands in aller Ruhe erspielt. Seit dem Jahr 2004 veröffentlichte er bei Mush, erst im Februar erschien dort das Album Vignetting The Compost. Bibio kannte man bisher in erster Linie als Arrangeur entspannter Folk-Kollagen mit Naturklängen, auf denen der Staub der Jahre seine Spuren hinterlassen zu haben schien. Doch Wilkinson verehrt auch Boards Of Canada über alles, für sein viertes Album hat er sogar die Typografie ihres Klassikers Music Has The Right To Children übernommen. Wie eine Kopie des schottischen Duos klingt Wilkinson auf Ambivalence Avenue allerdings nicht, auch wenn man sein Vorbild häufig durchhören kann. Bibio aber ist songorientierter. Hier und da packt er seine Schwäche für den Folkmusiker Nick Drake in kleine Liedskizzen, manchmal singt er auch einfach nur zu seiner Gitarre. Andererseits lässt Wilkinson genauso gern die Beats krachen und vermischt sie mit einer Unzahl an Soul- und Funk-Schnipseln. Auf den ersten Blick mag diese Kombination von Stilen leicht beliebig erscheinen, und in der Tat lässt sich Ambivalence Avenue in seiner Vielfältigkeit nur schwer unter einem Begriff subsumieren.
Wilkinson möchte das Album denn auch als eine Art Almanach seiner künstlerischen Interessen verstanden wissen. Befürchtungen, es bei dieser Platte mit einem bunten Sammelsurium zu tun zu haben, sind aber glücklicherweise unbegründet: Bei Bibio bekommen selbst die disparatesten Elemente einen Zusammenhalt, und zwar durch gezielten Einsatz billiger Aufnahmegeräte und vorsintflutlicher Sampler. Die Stücke haben eine Patina, die nicht künstlich, sondern völlig organisch wirkt. Dass Wilkinson die Natur als wichtigen Einfluss für seine Musik aufführt, nimmt man ihm ohne weiteres ab.
Zwar mag der Ansatz, Feldaufnahmen als Material hörbar zu machen, für sich genommen wenig revolutionär sein. Doch Bibio zaubert mit dieser Vorgehensweise eine Frische und Wärme in seine Stücke, die ihresgleichen sucht. Ambivalence Avenue verströmt Unmengen von sommerlicher Lofi-Energie und hat etwas herrlich Hemdsärmeliges. Einer seiner musikalischen und persönlichen Freunde, der Labelkollege Chris Clark, hat Wilkinson zudem bescheinigt, mit großer Lepopenschaft immer wieder an die eigenen Grenzen zu gehen und seine Musik tatsächlich zu leben. Für die Zukunft ist also nur das Beste zu erwarten. Aber Bibio macht seine Sache schon jetzt so gut, dass man ihm gern dabei zuhört. Und das sollte man.
Ambivalence Avenue
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