Foto: Phillip Aumann (Laurel Halo). Zuerst erschienen in Groove 167 (Juli/August 2017).

Die Welt kann Laurel Halo zwar nicht auf magische Weise retten. Auf ihrem dritten Album Dust gibt sie mit Humor und Leichtigkeit aber Hoffnung für die Gegenwart. Nach zwei von Maschinen angetriebenen Langspielern setzt die Produzentin dabei auch auf Stimmen und akustische Instrumente wie Vibrafon und Saxofon.

Eine tiefe, künstlich verstellte Stimme fragt, ob man ein Problem habe. Die Antwort wartet sie nicht ab, sagt stattdessen: „I think so!“ Es wirkt irritierend, wie sie in die Lücken zwischen vereinzelten Percussion-Schlägen, Saxofontönen und den Klängen einer Wurlitzer-Orgel hineinspricht. Sie redet weiter, bittet unter anderem um einen Rückruf, sagt, es sei alles bereit. Warum und wofür, bleibt unklar.

In Laurel Halos Stück „Who Won?“ von ihrem aktuellen Album Dust erhalten aneinandergereihte Alltagssätze lyrische Uneindeutigkeit. Im Interview auf diese leichte Unheimlichkeit angesprochen, lacht Halo: „Ich hatte eine Atmosphäre im Sinn, als ob man an einem regnerischen Abend in Manhattan herumläuft“, erklärt sie. „Das Stück sollte ein romantisch-filmisches Gefühl vermitteln und gleichzeitig humorvoll und etwas seltsam sein. Das Album ist ohnehin sehr humorvoll. Ich hoffe, das kommt durch!“ Neben den Vocals erscheint auch in den Melodien und den gewählten Klängen eine Freude am Schrägen – wie zum Beispiel bei dem Geräusch, das klingt, als würde jemand in einen Apfel beißen, und das den Rhythmus der Single „Jelly“ vorgibt.


Video: Laurel Halo – Jelly

Wenn man möchte, kann man in Laurel Halos Arbeiten aus der Vergangenheit Detroit Techno, House, Bassmusik, Electronica und Ambient heraus- beziehungsweise hineinhören. Die Verknüpfungen sind allerdings so lose und weit gestreut, dass sie die Bindung an die Tracks verlieren. Die in Berlin lebende US-Amerikanerin entzieht ihre Musik konsequent einer Kategorisierung, verwahrt sich gegen Genrezuschreibungen. Auf ihrer ersten EP King Felix von 2010 finden sich eingängige Melodien, Vocal-Hooks und Rhythmen aus Clubmusik, die immer wieder von aufwallenden Synthesizern überschwemmt werden. Die hier noch klaren, greifbaren Gesangslinien werden auf ihrem Debütalbum Quarantine (2012) zu disharmonischen Kontrapunkten aus Melodien von Synthesizern, Piano und rauschigem Klackern.

Konturen von Clubmusik sind in den strahlenden Kompositionen kaum zu erkennen. Das ändert sich mit dem Nachfolger Chance Of Rain (2013), auf dem die Produzentin fransige Zähne in Synthesizer-Decken fräst. Pulsierende 4/4-Kicks, wischendschlurfige Hi-Hats, schiebende Breakbeats, die unter einer dicken Staubschicht versacken, erhalten einen Kontrast durch ruhige, kurze Piano-Intermezzi. Der Sound des Albums liegt darin begründet, dass Laurel Halo für die Aufnahmen mit der Hardware arbeitete, mit der sie auch ihre Live-Sets bestreitet.

Sie gehe aber nicht strikt konzeptuell an die Arbeit ihrer LPs. Dass Stimmen auf dem neuen Album wieder eine tragende Rolle spielen, war demnach keine vorher feststehende Entscheidung. Es hat sich im Verlauf so ergeben – und auch, dass sie mit anderen zusammenarbeitete. Neben Halo selbst sind auf Dust die Stimmen der Sängerinnen und Produzentinnen Klein und Lafawndah und des interdisziplinär arbeitenden Künstlers und Schriftstellers Michael Salu zu hören. Dazu kommt unter anderem Percussion von Eli Keszler, Diamond Terrifier spielt Saxofon und Craig Clouse Wurlitzer.

Die Stücke auf Halos drittem Album präsentieren als Einheit eine multiversische Vielfalt. Erste Ideen und Skizzen entstanden bei einer Künstlerresidenz im Frühling 2015 im Bundesstaat New York. Dort hatte sie die Möglichkeit, mit verschiedenen Instrumenten und Aufnahmetechniken zu arbeiten: „Dieses Mal ging es nicht darum, innerhalb eines eingeschränkten Rahmens von Hardware zu arbeiten, sondern darum, mit akustischen Instrumenten auf eine Art zu experimentieren, wie ich es noch nicht getan hatte“, erklärt sie. Dust ist dadurch eine Art Studioalbum geworden, das im Vergleich zu vorhergehenden Arbeiten nicht so getrieben und stattdessen offener klingt. Vielleicht auch wärmer.

„Buchstäblich das Hirn durchpusten“

Experimentell spielt Laurel Halo auf Dust mit Formen und bricht sie immer wieder, bringt sie in leichte Schräglagen, die Spaß machen – auch wenn sie nur in wenigen Ausnahmen mit klaren Clubmusik-Referenzen uneingeschränkt tanzbar sind. „Das Album fügt sich aus so vielen Teilen und so vielen Stimmen zusammen“, sagt die Musikerin. „Es ist fast wie eine Collage.“ Das in Live-Auftritten auf die Bühne zu bringen werde eine echte Herausforderung. Konkrete Ideen dazu habe sie noch nicht, auch weil sie nicht weiß, ob eine Umsetzung beispielsweise mit Band wirklich funktionieren würde. „Ein anderes Problem dabei ist, dass mir Auflegen viel zu viel Spaß macht, sodass ich gar nicht live spielen möchte!“, erzählt sie und lacht. Wenn sie DJ-Sets spielt, ist sie nicht selten die einzige Frau auf dem Line-up. „Eine Frau in der Musikszene zu sein ist grundsätzlich politisch“, sagt sie. „Einfach nur dass man als Frau da ist, kann sexistische Ansichten von einem Typen ändern: Es kann ihm buchstäblich das Hirn durchpusten, dass man krass auflegen oder super Live-Sets spielen kann.“

Als Frau im männlich dominierten Musikbereich unterwegs zu sein ist nicht der einzige politische Aspekt, den Laurel Halo in ihrer Arbeit sieht. „Wir leben in einer ziemlich düsteren Zeit. Als KünstlerInnen tragen wir eine gewisse Verantwortung dafür, Aufmerksamkeit für bestimmte Themen zu schaffen. Außerdem können wir zeigen, dass es trotz allem Glück auf der Welt gibt und dass die Möglichkeit zur Freiheit existiert. Ich denke, das ist eine sehr wichtige Sache.“

Vorheriger ArtikelXVII
Nächster Artikel40 Jahre „I Feel Love“