Text: Michael Leuffen
Erstmals erschienen in Groove 151 (November/Dezember 2014)
Seit der Veröffentlichung des Tracks „Geffen“ bei Cómeme ist für Daniel Ansorge alias Barnt das ruhige Kölner Leben vorüber. Mit weiteren Releases auf dem von ihm mit betriebenen Label Magazine baute er seinen Ruf als Produzent, der das Format Techno tanzbar gegen den Strich bürstet, weiter aus. Es folgten internationale Bookings, durch die er sich als unberechenbarer DJ einen Namen machte. Nun ist seine Debüt-LP Magazine 13 erschienen.
„Jeden Morgen brechen die Kinder ohne Bangen auf. Alles ist nahe, die schlimmsten materiellen Bedingungen sind großartig. Die Wälder sind weiß oder schwarz, man muss niemals schlafen gehen“, schrieb André Breton 1924 im ersten Manifest des Surrealismus über die Kindheit. Barnt kennt jenen Geisteszustand, der Erwachsenen abhanden gekommen ist und in dem man seinen direkten Wünschen folgt. Aufgewachsen ist er in Kiel. Schon als Teenager legt er auf und entdeckte – wie er es nennt – das Ravekid in sich, jenes spezielle Befinden, das durch repetitive Rhythmen und eine Bassdrum ein „niemals schlafen gehen“ evoziert. Während des Zivildienstes lernte er Jens-Uwe Beyer kennen, der ihn zu einem Konzert seiner Band Jay and The Perfect Body einlud. Nach der Show besorgte sich Barnt ein Tape der Band, ging nach Hause, scratchte eigene Ideen drüber und gab es zurück mit den Worten: „Jetzt klingt es besser!“. Schon beim nächsten Konzert – das auch das letzte war – stand er mit auf der Bühne. „Wir wollten dann alle raus aus Kiel, denn uns war langweilig. Berlin war keine Option, da sind alle hin. Wir dachten: Köln, da ist doch Wolfgang Voigt. Wir haben damals alle das Gas-Album Zauberberg gehört. Das hat uns verbunden. Bei Gas war uns klar: das ist neue Musik und wir wollten dahin, wo sie passiert“, erzählt Barnt an einem regnerischen Augustnachmittag während er aus dem Fenster seiner mit dem Produzenten Matt Karmil betrieben WG in einer stilgelegten Werft im Rheinhafen des Kölner Stadtteils Deutz auf das gegenüberliegende Gebäude schaut. Dort wohnt sein Zivi-Kumpel Jens-Uwe Beyer, auch bekannt als Popnoname. Zudem lebte hier lange sein anderer Kieler Freund John Harten alias Crato.
Der Nerd im Club
Seit 2001 lebt Barnt in Köln. Bevor er Musik produzierte, legte er überall in der Stadt auf, bei Partys wie der Total Confusion, eigenen DIY-Veranstaltungen und in Bars. „2007/08 war ich dann musikalisch gelangweilt. Der Tech- und Deep-House, wo Deutsche versuchten, deeper als Larry Heard zu sein, ging für mich fürchterlich schief. Dass diese Musik erfolgreich war, frustrierte mich. Ich fing an, für meine Sets eigene Stücke zu produzieren. Das war einfacher, als neue Platten zu kaufen“, berichtet er über seine Anfänge. „Für meine Musik ist das Clubgängertum sehr wichtig. Ich bin oft alleine ausgegangen. Wenn ein DJ mehrere langweilige Lieder hintereinander spielt, dann ist das ein langer Raum. In solchen Momenten stellte ich mir vor, was sein würde, wenn nun musikalisch dies oder jenes passiert. Diese isolierte Erfahrung als Nerd im Club hat mich geprägt. Ein Track wie „Geffen“ war ein Versuch dazu. Ich wollte etwas schaffen, was mich selbst überrascht.“ Der von ihm erwähnte Hit, aber auch neue Tracks wie „Under His Own Name But Also As Sir“ auf Joy Orbisons Label Hinge Finger, machen deutlich, was ihm vorschwebte. Sie alle sind Techno, verblüffen dramaturgisch und halten im Club für einen Moment die Zeit an. Die Tänzer frieren überrascht ein und werden nach kurzer Verwirrung mit pointierten Ravesignalen in den tanzbaren Wahnsinn entlassen.
Stream: Barnt – Geffen
Das jammende Ravekid
Bevor Barnt seine Ideen veröffentlichte, gründete er mit seinen zwei Norddeutschen Kumpels 2010 das Label Magazine. Das erste Release präsentierte die Band Cologne Tape, der unter anderem Ada, Axel Willner alias The Field, Jörg Burger und die drei Labelgründer angehörten. „Cologne Tape, das war ein unglaublich freier Ansatz. Wir haben tagelang im Studio gehaust und gejammt. Da ich mit Techno und House aufgewachsen bin und ein Ravekid war, wurde mir klar, dass ich diese Erfahrungen zusammenbringen muss. Da hatte ich schon alleine Musik gemacht. Aber Cologne Tape hat das Ganze neu beflügelt.“ Aus der gelebten Bandimprovisationserfahrung gekoppelt an das ravende Kind in ihm entwickelte sich eine spezielle Form von Musik, in der oft frei gespielte Chords und Melodien von stoischen Technorhythmen umrahmt werden. „Es gibt bei mir immer ein Konzept, in dem ich mich gehen lasse. Nur gehen lassen würde keine Form ergeben. Das Konzept ermöglicht mir Spontanität. In diesen rahmenden Parametern drücke ich dann gern falsche Tasten damit alles eine gewisse Direktheit bekommt. Das bin dann manchmal gar nicht mehr ich, der da spielt. Ich bin dann eher so was wie ein Medium“, verrät er entspannt am Tag vor seinem Abflug zum Burning Man Festival, wo er mit seinem Kumpel Rebolledo spielt.
Stream: Barnt – Under His Own Name But Also As Sir
Ein Loch in der Geschichte füllen
Die acht Tracks seines Debütalbums wurden alle im Frühsommer produziert. Vornehmlich mit Presets. Ohne Samples. Mit Hilfe seiner analogen Synthesizer plus der 909, die er einst Wolfgang Voigt abgekaufte. „Mir ist es wichtig, dass Produktionswege einfach sind. Wenn ich mit Presets arbeite, fühle ich mich wie ein Kurator. Presets sind ja für eine bestimmte Tonlage angelegt. Ich transportiere sie in hohe und tiefe Bereiche für die sie nicht bestimmt sind. Und dann werden sie wild. Im Zweifel hat der Autor des Presets es nie in diesem Bereich gehört. Und das interessiert mich. Da betrete ich für mich Neuland in einem vorgegebenen Rahmen, der bei mir Techno heißt. Das ist alles simpel gemacht, denn wenn man keine Energie mit Einfachheit entwickeln kann, schafft man es auch nicht mit ausgefuchsten Mitteln. Wenn ich ein Stück wie ‚Tunsten‘ mache, bin ich total aufgeregt und spüre wie die Energie zurückkommt“, sagt Barnt über seine Produktionsmethode, die er selbst „Softsampling“ nennt, da er die Autorenschaft des Presets anerkennt, sie aber umdeutet.
Download: Barnt & Rebolledo – DJ-Set @ Burning Man Festival 2014
Ein Effekt dieses Ansatzes sind besondere, geisterhafte Töne, die irgendwie camp sind, frei schweben oder sich als Leitmotiv durch seine Tracks ziehen. Sie wirken zuweilen wie entfernte Verwandte von New Age und Trance, gefiltert durch die stets den Status quo der Clubmusik abklopfende Wahrnehmung von Barnt. „Als ich anfing zu produzieren, habe ich mir gesagt: Wer bin ich, wo wohne ich und was empfinde ich hier? Dann dachte ich: Ich wohne im Hafen von Köln und das sollte Teil meiner Musik sein. Denn die Art, wie man lebt, schreibt sich mit in die Musik ein. Davon bin ich überzeugt. Deshalb finde ich es ok, wenn meine Musik mit der verglichen wird, die in den Siebzigern im Rheinland entstand. Ich lebe ja hier, und es ist Musik, mit der ich mich beschäftigt habe. Ich mag es aber nicht, wenn man sagt: Barnt macht Krauttechno. Ich mache nichts Altmodisches. Ich versuche ein Loch in der Geschichte zu füllen, das nicht weiter gedacht wurde. Ich fühle mich emotional dem Siebziger-Jahre-Gefühl des Sichgehenlassen nahe. Das leben wir ja auch hier im Hafen. Und das bringe ich in die knallharte Form von Techno, wo die Bassdrum wie eine streng rahmende Leinwand funktioniert. Ich sehe meine Arbeit und die von Magazine als den Versuch, die völlig freie Form des Synthspiels in die Ravekultur zu transportieren.“ Wie dieses Experiment klingt, zeigt sein Album mit kurzen Ambient-Arrangements und schwindelerregenden epischen Techno-Tracks, deren Rauheit auf simple materielle Grundlagen verweist und gleichzeitig eine Energie versprüht, die nur entsteht, wenn Barnt ohne Bangen, allem was er tut, ganz nahe ist.