Kraftwerk waren Vorreiter der analogen, elektronischen Musik. Aber als die digitale Technik in den 80er-Jahren aufkam, wurden sie im Wesentlichen zum Verwalter ihres eigenen Katalogs.
Florian und Ralf hatten schon in einem ihrer ersten Interviews gesagt, dass neue Maschinen bessere Musik schaffen, und genau daran glaube ich nicht. Wie schon der Futuristenchef F. T. Marinetti haben sie den technischen Fortschritt völlig überbewertet. Kraftwerk verfügten in den 80er-Jahren über das Geld, um sich die neueste Technik zu kaufen, aber mit Geld lässt sich keine Kreativität kaufen. Für das Album The Mix, das 1991 erschien, wurden die alten analogen Stücke ins Digitale transferiert und der Computer machte das, was er am besten kann: verwalten. „Unheimlich ist der Glaube, die Probleme der Welt mit Technik lösen zu können“, hat unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles mal gesagt – aber genau das glaubte Ralf wohl damals.

Warum existieren die drei ersten Alben vor Autobahn heute für Ralf Hütter eigentlich nicht? Stücke aus dieser Zeit tauchten nicht auf The Mix auf, sie sind nicht Teil des wieder veröffentlichten Katalogs und werden auch nicht live gespielt.
Ich vermute, die alten Platten kommen deshalb nicht mehr auf den Markt, weil Florian und Ralf die Rechte daran nicht zu 100 Prozent haben. Und Ralf wird es auch nicht gefallen, dass man sie nicht mehr verändern kann. Conny Plank war da ja auch als Produzent noch wesentlich beteiligt. Vor allem das Album Ralf und Florian ist für mich heute noch eine exzellente Platte.


Video: Kraftwerk – Die Roboter

Was für eine Bedeutung hatte Conny Plank für Kraftwerk?
Dazu muss man sich nur mal das großartige poetische Original von “Autobahn” hören, das Conny Plank damals aufgenommen hat, und dann die neue Version auf The Mix, die 17 Jahre später erschien. Ab The Mix sind Kraftwerk für mich gestorben oder hängen heute nur noch an einer Herz-Lungen-Maschine. Der Akt der Schöpfung ist jedenfalls abgeschlossen und der war stark mit unserem Lebensgefühl in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre verbunden.

Für viele afroamerikanische Musiker und DJs aus New York, Chicago und Detroit hatten Kraftwerk in den 80er-Jahren einen ähnlichen Stellenwert wie etwa Muddy Waters für die Rolling Stones. Wann wurde euch dieser Einfluss zum ersten Mal bewusst?
Das kam durch Afrika Bambaata und „Planet Rock“. Ich hatte mir Anfang der 80er gerade selbst im Synthesizerstudio Bonn eine 808 Drum Machine gekauft, um die 1000 Mark hat die gekostet. Die Maschine klang gut, aber ich hab die nicht ernst genommen, das war für mich zu sehr ein Industrieprodukt. Bei Kraftwerk war ja fast alles selbst gebastelt. Jedenfalls kann ich mich noch gut erinnern, wie ich mit Ralf in der Kölner Disko Moroco stand und plötzlich der Beat von „Numbers“ aufkam, den ich eingespielt hatte: Bummtsh-bumm und dann dazu die Melodie von „Trans Europa Express“ unterstützt durch die Beats der 808. Ralf und ich schauten uns an: Das klang unfassbar! Die machten Kraftwerk auf „Planet Rock“ zum Teil ihrer Kultur, so ähnlich wie wir uns das Wesen der Melodien von Schubert oder Debussy zu eigen gemacht hatten.

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