Kontrolle war Ralf Hütter und Florian Schneider sehr wichtig. Unter anderem bauten sie schon zu Beginn der 70er-Jahre ihr eigenes Kling-Klang-Studio auf. Heute ist das selbstverständlich, damals war das sehr ungewöhnlich.
Ja, das war clever. Das hatte seinen Ursprung in der Herkunft der beiden. Florians Vater hatte ein Architekturbüro und ich erinnere mich an ein Gespräch, in dem Florian erzählte – so interpretierte ich ihn jedenfalls –, dass sein Vater häufig Probleme mit Angestellten wegen der Copyrights zu Entwürfen hatte. Das war also Teil seines Denkens und so etwas ging mir völlig ab. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, Ralf Hütter und Florian Schneider eher aus dem Großbürgertum. Und das hatte durchaus etwas Gutes, um das ich sie beneidet habe: Sie hatten einen Vorsprung durch Bildung. In der Familie von Florian gab es einen Filmprojektor und sonntags spielten Streichquartette Schönberg. Und Ralf hatte Architektur studiert, kannte sich in der Kunstgeschichte aus. Meine Bildung entwickelte sich erst im Rahmen meines Musikstudiums.

Könntest du heute von den Verkäufen der Kraftwerk-Platten leben?
Nein, denn Kraftwerk hat eigentlich nie besonders viele Platten verkauft und ich wurde erst dann an den Lizenzen beteiligt, als wir eigentlich aufgehört hatten, neue Musik zu machen. Damals hat mein Einkommen gereicht, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Heute sind die Verlagserlöse an den Stücken, die ich mitgeschrieben habe, wie „Die Roboter“, „Das Model“ oder „Computerliebe“, viel wichtiger.

Es kam schließlich zu rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dir und Ralf und Florian. Dennoch ist dein Buch in keinem Moment eine Abrechnung über deine Zeit bei Kraftwerk geworden. Warum?
Das war mir sehr wichtig. Ich will mit dem Buch niemanden verletzen. Worum es mir ging, war die Analyse.

Zu dieser Analyse gehört auch eine genaue Auseinandersetzung mit den Instrumenten, die den Klang von Kraftwerk ausgemacht haben. Welches war damals die wichtigste technische Innovation?
Das war wohl der 16-Step-Sequenzer des Synthanorma und die dazugehörige Trigger- Summe, die in einer Frühform zum ersten Mal bei Trans Europa Express und
dann vor allem auf Mensch-Maschine und Computerwelt zum Einsatz kamen. Mit dem Sequenzer ließen sich Tonfolgen automatisieren und mit anderen Instrumenten synchronisieren. Das war unschlagbar zu der Zeit. Denn das ermöglichte es uns lange vor MIDI, gemeinsam auf elektronischen Instrumenten zu improvisieren. Damit wurden wir musikalisch wirklich zu einer „Mensch-Maschine“.

Gab es so etwas wie ein Geheimnis, was die Musik von Kraftwerk ausgemacht hat?
Ich denke, es war der Umstand, dass wir die Musik gemeinsam im Moment erschaffen haben – die gemeinsame Improvisation, die Interaktion. Wir haben zusammen gespielt wie Kinder – das war das Geheimnis. Die Synthesizer, die so stark mit Kraftwerk in Verbindung gebracht wurden, waren meiner Meinung nach gar nicht das Entscheidende, sondern das Geistige in unserer Musik. In unserer kreativen Phase hätten wir auch interessante Musik gemacht, wenn wir auf vier Gitarren oder vier Orgeln gespielt hätten.

Kannst du diese gemeinsame Improvisation näher beschreiben?
Wir standen im Kling-Klang-Studio in einem Halbkreis und schauten uns beim Spielen in die Augen. Das war eine ganz freie Situation. Und wir fanden uns ja auch alle gut, da gab es eine gewisse Attraktion. In der Improvisation wollten wir uns gegenseitig, glaube ich, auch ein bisschen imponieren, da hat sich jeder angestrengt. Das ging mit der Digitalisierung unseres Studios verloren, weil dann nur noch einer am Computer saß und die Befehle eingab oder mit der Maus hantierte und wir alle auf den Bildschirm schauten. Die neuen Möglichkeiten haben uns am Anfang zwar sehr fasziniert – das war eine Offenbarung -, aber unser musikalischer Dialog blieb damals auf der Strecke. Und auch durch das Sampling verloren wir den Sinn für das kompositorische Handwerk.

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