Wer eine Krähe mit Fangzähnen als Maskottchen hat kann die Dunkelheit auch ganz allein queren. Was Christina Nemec unter dem lautmalerischen Alias Chra produziert sucht definitiv die finstersten Winkel der raummusikalischen Dystopien auf. Ganz im Geiste des schicksalhaft raunenden Titels On A Fateful Morning (Editions Mego) ist ihre dritte Soloarbeit ein ähnlich aufreibender Trip durch karge lebensfeindliche Klangräume wie Empty Airport vor zwei Jahren. Das permanente Grunddröhnen aus ächzendem Metall, wie von rostigen aufgelassenen Schiffsrümpfen, wird immer wieder von schwer interpretierbaren Feldaufnahmen von zufallenden Stahltüren, Knistern, Knacken und Rauschen überlagert. Mysteriöse Handlungen in unbehaglichen Räumen. Chra ist unsere Reiseführerin. Sie traut sich furchtlos an Orte an die kein Mann zuvor sich traute.


Stream: Chra – On A Fateful Morning – Cognitive Ease

Gabriel Saloman war die fokussiertere und konventionellem Schönklang etwas gewogenere Hälfte der kanadischen Power-Electronics Rabauken Yellow Swans. Nach dem Ende des Duos vor neun Jahren hat sich Saloman neben neuen Duos mit der Performancekünstlerin Aja Rose und Neoklassik-Goldstück Peter Broderick vor allem solo betätigt. Unter seinem bürgerlichen Namen fertigt er auch die tendenziell bürgerlichsten Klänge, wie Kompositionen für modernes Tanztheater. Movement Building Vol. 3 (Shelter Press) ist der dritte und voraussichtlich finale Teil einer Serie von Tracks die er spezifisch für die Tanzstücke der Choreografin Vanessa Goodman angefertigt hat. Wie seine Alben für das Miasmah Label (Adhere und Soldier’s Requiem) und die früheren Teile der Movement Building Serie kann auch Vol. 3 abseits des Entstehungskontextes als Auftragsarbeit und Soundtrack bestehen. Zwischen ordentlich finsterer Avant-Klassik und atmosphärischem Ambient, von der Postrock-Idylle zu groovender Disharmonie ergeben diese Klänge Salomans bislang zugänglichstes Album.


Stream: Gabriel Saloman – Movement Building Vol. 3 – What Belongs To Love

Der Norweger Erik K. Skodvin fühlt sich in der Spannung der Dissonanz unverkennbar wohl, insbesondere wenn er mal wieder das Alias Svarte Greiner auspackt. Sein neuestes Minialbum Apart (Miasmah LTD) und das zeitgleich erscheinende Reissue des allerersten Svarte Greiner-Albums Knive (Miasmah) von 2006, zeigen Skodvins Meisterschaft mit Hilfe von wenig mehr als Cello und Laptop eine eigenwillig harsche und doch aggressionsfreie Variante von Dark Ambient zu schaffen. Seine quasi-organische Synthese von kratzenden, knarrenden, hin und wieder sogar furchteinflößend verkanteten Sounds in einer sanft fließenden, harmonischen Überstruktur, ist in den elf Jahren die zwischen den beiden Alben liegen außerordentlich geblieben.


Stream: Svarte Greiner – Apart – Passage

Der klassisch studierte Pianist und Komponist Philipp Rumsch aus Leipzig ist neu in der Dark Ambient-Branche und schöpft doch aus dem Vollen. Die zweiteilige Suite seiner beeindruckenden Debüt-EP A Forward-Facing Review (Denovali) ist ein stürmischer Trip von einem lieblichen Orgeldrone zu pathossattem Feedback-Noise und zurück zu impressionistisch verhallten Pianoklängen die sich langsam in digitalem Rauschen auflösen.


Stream: Philipp Rumsch – A Forward Facing Review – Part II (Excerpt)

Zum Abschluss der Kolumne und der Jahreszeit angemessen gibt es heuer wieder eine vollendete Schöpfkelle purer Transzendenz. Das Zweitwerk der schottischen Organistin und Komponistin Claire M Singer, Fairge (Touch), ist ein einziger langwelliger, von subtilen elektronischen Echos umflorter Orgeldrone, der in zwanzig Minuten von dunkel glimmendem zu brillant gleißendem Schönklang und wieder zurück führt. Diese erhabene Breitseite von Kraft und Anmut hat zwar enge Verwandte wie Charlemagne Palestines Schlingen Blängen, ist in der durchgehaltenen klanglichen Schönheit und Liebenswürdigkeit aber doch gigantisch.


Stream: Claire M Singer – Fairge 

P.S. Im Winter um die Jahreswende 2017/2018 wird Singer Fairge in verschiedenen europäischen Kirchen aufführen. Nicht verpassen!

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