Zuerst erschienen in Groove 168 (September/Oktober 2017). Vorschaubild: Presse (Khidi)

Am östlichsten Ende von Europa, zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus, hat sich in den letzten Jahren eine der fortschrittlichsten Szenen für elektronische Clubmusik entwickelt. Die junge Technogeneration hat in zu Clubs umgebauten Schwimmbädern und Brückenpfeilern ihre eigene alternative Realität geschaffen, in Abgrenzung zu einer traditionell konservativen Gesellschaft, in der Homophobie und Gefängnisstrafen für Drogenkonsum noch immer alltäglich sind. Ein Besuch in Tiflis.

„Die sind der wichtigste Einfluss meines Lebens!“, schreit Tato Kharchilava mir ins Ohr und deutet auf die drei Männer vor uns auf die Bühne. Dort stehen Sascha Ring, Gernot Bronsert und Sebastian Szary am Ende einer riesigen Reithalle und spielen vor Tausenden von Fans, die ausgelassen tanzen, singen und die Songs von Moderat feiern. Über 4000 junge Besucher sind ins Hippodrom gekommen – zum größten Konzert eines elektronischen Live-Acts, das Tiflis bisher gesehen hat.

Kharchilava hat die Show veranstaltet, hier in der Hauptstadt von Georgien. Nicht größer als Bayern, mit weniger als vier Millionen Einwohnern, befindet sich das Land an der Schnittstelle von Europa und Asien, zwischen Russland, der Türkei, Armenien und Aserbaidschan. Teheran ist etwa 1000 Kilometer entfernt, nach Berlin ist es dreimal so weit. Westliche Gruppen, abseits von Auftritten auf Festivals und in Clubs, spielen hier nur selten. Zu groß ist der Aufwand, zu abgelegen das Land, zu schwierig die Finanzierung. Tato Kharchilava (31) ist die Mühen und das Risiko dennoch eingegangen, nicht zuletzt weil er von Anfang an Fan dieser Band war, die ihn zur elektronischen Musik gebracht hat.

Das Stadium von Dinami Tiflis, in dessen Untergeschoss heutzutage das Bassiani untergebracht ist.

Es ist halb zwei, mitten in einer Freitagnacht. „Früher gehen die Leute hier nicht zu Clubmusik aus, auch wenn es sich um ein Konzert handelt.“ Moderat gelten in Tiflis als erfolgreichster Berliner Techno-Export, einer Szene, die hier in den vergangenen Jahren besonderen Widerhall erfahren hat. Ben Klock ist in der Stadt populärer als irgendein EDM-Star, in den Clubs herrscht Fotoverbot und wird Club Mate getrunken und zwischen Tiflis und Berlin findet ein reger Austausch statt.

Um sich vor Augen zu führen, wie ausgeprägt die Clubkultur in Tiflis ist: An einem beliebigen Wochenende im Juli legen in Tiflis, verteilt auf drei Clubs, etwa The Black Madonna, Dr. Rubinstein, Stanislav Tolkachev, DJ Stingray und Tin Man auf. Und nur wenige Stunden entfernt startet, mit Blick auf das Schwarze Meer, das einen Monat andauernde GEM-Fest, auf dessen acht Bühnen neben FJAAK oder Honey Dijon, vom Staat gefördert, EDM-Stars wie Martin Garrix und Steve Aoki spielen. Und das alles in einem Land, in dem laut Weltbank noch 2014 sieben von zehn Einwohnern weniger als fünf Dollar am Tag zur Verfügung hatten und in das die Anreise für DJs von Europa aus länger dauert, als wenn sie nach New York fliegen würden.

1
2
3
4
Vorheriger ArtikelA DJ’s DJ: Ian Pooley über DJ Harvey
Nächster ArtikelPlatten der Woche mit Falty DL, Perm und Antigone