Fotos: Christin Bolte

Inmitten von tobenden Teenagern dringt eine lang ersehnte Wärmewelle durch den unterkühlten Körper. Romare und Band weben einen lauschig Beatkokon und verwandeln das bunte Zirkuszelt in eine mollig-warme Oase der Liebe. Endlich angekommen. Es ist Juli. Tags ist es grau, nass und nicht wirklich Sommer. Nachts wird es hier, ohne Hi-Tech-Gear oder einen zweiten Körper im Sack, verdammt kalt.

Dour ist ein Siebzehntausenseelen-Ort, nahe der belgischen Grenze zu Frankreich. Das gleichnamige Dour Festival ist ein Ereignis, um das sich Praktiken der Gemeinsamkeit entwickelt haben, Schlachtruf inklusive: „Doureee!“ 1989 gründete Carlo Di Antonio das Festival für alternative Musik. Zuvor bei den Grünen, ist er nun Politiker der Zentral-Humanistischen Partei (cDH) und, so kann’s gehen, Bürgermeister von Dour. Heutzutage liegt der kuratorische Schwerpunkt des belgischen Festivals mit den sieben ebenso bunten wie riesigen Zirkuszelten auf Hip Hop, Dub und Bass-Musik. Promiment bouncen in dieser Kategorie die $uicideboy$, Kate Tempest, Little Simz, Talib Kweli, Gaslamp Killer, Rejjie Snow, Stormzy, The Underarchievers im bedeutungsvoll-lilanem Jupiler Boombox-Zelt. Hochkarätiger Pop, Indie, Techno, und House ergänzen das ausgesprochen gut gestaltete Programm. Etwas für alle. So, wie es sich für ein Publikumsfestival gehört. Legenden, aufstrebende Sternchen, Bekannte. Dazu ein paar angepriesene, außerhalb der frankophonen Grenzen weniger bekannte Bands.

Wer mit dem Flugzeug anreist, kommt von Brüssel aus großzügig ungefähr drei Stunden später am Ziel an. Egal ob vom Flug dehydriert oder erschöpft vom Kofferziehen, die BelgierInnen ziehen einen sofort ins Dour-Gefühl. Ihre entwaffnende Freundlichkeit macht die ersten Strapazen schnell vergessen. Die SchaffnerInnen, die Fahrgäste, die Menschen aus Dour freuen sich aus allen Gesichtsecken und wünschen – auch ungefragt – „viel Spaß“, „hab’ Freude“, „ein tolles Fest“. Und so ist es etwas egaler, dass das die Website-Informationen und das Leitsystem auch nach so vielen Jahren stark ausbaufähig sind, niemand den genauen Weg kennt und Englisch hier nur eine Sprache in den Popsongs von Anderen ist. Tipp: Französisch auffrischen hilft.

Dabei ist die Höflichkeit und das Engagement von hunderten von Freiwilligen jeden Alters ist bezaubernd. Nachdem das Zelt aufgebaut oder die Luxushütte bezogen ist – ob Haus, Tipi, Holzhütte, Minicontainer oder Hotelzimmer – geht es los. Der Zugang von jeder Unterkunft zum eigentlichen Festivalgelände allerdings bedeutet wiederum einen Weg von zwanzig Minuten bis hin zu einer Stunde. Tipp: Zeit mitnehmen.

Abends kommt eine weitere Stunde Wartezeit für den Zugang vom Camping auf das Festivalgelände hinzu. Securitycheck. Strenger und langwieriger als auf dem Flughafen. Jede Person bekommt eine brotgroße Tupperdose und dann alles raus aus den Taschen, auch die Kondome! Rücksäcke wie Rauschmittel sind eine doofe Idee, auch wenn Rauschprävention und warme Extrakleidung wegen der langen Wege und der sich schnell verändernden Temperaturen ratsam sind. Ein fixes Hin-und-Rück vom Festivalgelände zur Homebase ist unmöglich. Alte Douristas wissen, wie der Hase läuft. Aber für Festivalneulinge mutet das ganze, auf die belgische Terrorerfahrung gründende Sicherheitsszenario mit bewaffneten Polizeikontrollen grotesk an. Problematisch ist vor allem das Verbot der Mitnahme von Wasser und die hohen Preise für Softdrinks beim Dour Festival.

Biertrinkende freuen sich allerdings über die Preisparität. Belgisches Bier ist lecker und das Publikum dementsprechend angeheitert. Weil die meisten Dour-Gäste Teenagers oder Twens der umliegenden Provinzen sind – eine Altersuntergrenze gibt es laut Nachfrage nicht – bleibt bei 242.000 Festivalgästen die Volksfeststimmung unvermeidbar. Massen von trunkenen und unter Drogeneinfluss stehenden Teenagern schieben sich durch die mit Bauzäunen abgesteckten Wege.

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