Die meisten modernen Spielarten von Ambient überlappen mehr oder weniger mit nahe verwandten Musiken wie Drone, Postrock und Neoklassik, oder in der „Dark“ Variante mit Industrial und Noise. Andere Entwicklungslinien, etwa von der akademischen Neuen Musik, oder experimenteller Elektronik aller Arten, haben ebenso tiefe Spuren hinterlassen. Eine andere Art der versuchsweisen Schubladisierung des kaum zu fixierenden Genres arbeitet eher subjektiv über die gefühlten, vermuteten, gar beabsichtigten Affekte und Assoziationen, die die Musik im Hörer auslöst oder auslösen soll.

Das schlägt sich dann gerne in einem Adjektiv oder einem Präfix nieder. Etwa wenn der Kompaktsche „Pop-Ambient“ einerseits eine Art von Ambient beschreiben soll, die mit Samples und Loops von Popmusik arbeitet, gleichzeitig aber auch ganz stumpf sagt: Ambient der so klingt wie Wolfgang Voigts Pop-Album unter dem Alias GAS. Auf verwandte Weise wird Ambient der kühl, einsam und abweisend erscheint, durch den hörbar der Drone-Wind pfeift, gerne als Mischung meteorologischer und geographischer Metaphern unter dem Label „arktisch“ verkauft.

Das ist eine Schublade, auf die sich Labels wie das Italienische Glacial Movements sogar aktiv beziehen in einer seriellen, themenbezogenen Covergestaltung, Namensgebung und Inhaltsbeschreibung. Das Debüt des Österreichers Alexander Glück alias Aware, The Book Of Wind (Glacial Movements), macht da eine partielle Ausnahme wie schon der supersüße Polarfuchs im Winterfell auf dem Cover andeutet. Schon Frost und Isolation, aber nicht nur. Der Klang des Albums ist definitiv noch innerhalb der Genredefinition, aber wärmer, humaner und organischer als üblich.


Stream: Aware – So He Pulled His Cloak Over His Face

A Perfect Blind (Pomperipossa), zweites Album von Drøne, dem Duo aus Mark van Hoen (Locust) und Mike Harding (einer der Betreiber von Touch Records), kommt dem arktischen Ideal da schon deutlich näher. Trotz des eher sommerlichen, leicht instagrammatisch nostalgisch verklärten Strand-Covers flirren die statischen Feedbacks, die tiefen Rumpelgeräusche und die verirrten Funksprüche (eine Klangsignatur, die im Genre fast schon zum Klischee geronnen ist) auf arktisch einsame, selbstgenügsame Weise im eisigen Wind der kargen Umgebung.

Die Windlichter des schwedisch-schottischen Duos Dag Rosenqvist & Matthew Collings flackern noch minimaler und düsterer. Hello Darkness (Denovali) verzichtet allerdings auf die im Genre so beliebten Naturmetaphern. Ihr Ambient ist soziologisch. Ein häuslicher Mikrokosmos, von Tagen an denen nichts funktioniert, nichts aufbauend scheint – und dann fängt es gegen jede Wettervorhersage an zu regnen.


Stream: Dag Rosenqvist & Matthew Colling – Streets

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