Was fasziniert dich an der Clubmusik im Allgemeinen und was an Ricardo Villalobos im Speziellen?
Als ich 1991/92 in Berlin meinen Film Warheads geschnitten habe, eine Dokumentation über Söldner, bin ich nach der Arbeit oft in den Tresor oder ins WMF am Potsdamer Platz gegangen. Da kam für mich die Faszination gegenüber der Kraft dieser Musik auf. Du bist im Club, hörst diesen Sound, und auf einmal wirst du weggetragen. Da denkst du nicht mehr an das, was vorher im Schneideraum war. Man wird auf eine andere Ebene katapultiert. Von da an hat mich das in Schüben immer wieder interessiert. Als ich 2000 nach Berlin zog, habe ich angefangen, die Clubkultur viel stärker selber zu erleben. Für Ricardo im Speziellen war eine Cocoon-Closing-Party im Amnesia auf Ibiza ausschlaggebend. Er stand hinter einer Plexiglasscheibe an einem relativ nah zur Tanzfläche aufgebauten DJ-Pult und war um vier Uhr morgens völlig in seiner Musik aufgegangen.

Was genau hat dich in dem Moment beeindruckt?
Diese tiefe Leidenschaft, die Art, wie er mit einer Absolutheit lebte, was er spielte. Das ist vielleicht jetzt nicht mehr ganz so extrem, seitdem er eine Familie und Kinder hat. Aber du spürst es immer noch, wenn du ihm begegnest. Dann hatte ich noch ein Erlebnis in Barcelona, wo ich Ricardo 2006 bei der Abschlussveranstaltung des Sónar-Festivals von der Bühne aus gesehen habe und er dieses Stück mit den Sirenen spielte. Wenn du da oben stehst und hörst, wie diese heulenden Sirenen loslegen und diese Scheinwerfer über die 15.000 dicht gedrängten Leute gleiten, dann merkst du, dass etwas von der Norm Abweichendes passiert. In diesem Moment hat sich das Bild von 2004 auf Ibiza noch mal bestätigt, und ich wusste, dass ich unbedingt etwas mit ihm machen wollte. Zudem korrespondiert Ricardos Art, im DJ-Mix mit der Zeit umzugehen, perfekt mit meiner ästhetischen Vorstellung, wie man eigentlich Musikfilme machen sollte.

Und wie sieht diese Vorstellung aus?
Für mich gibt es nur zwei Konzepte, wie man überhaupt Musik filmen kann. Entweder, du machst es mit einer einzigen Kamera – oder mit endlos vielen. Meist drehen Regisseure ja mit endlos vielen Kameras. Deshalb nehmen die Leute an, dass das immer so sein muss. Wenn du nur mit einer Kamera drehst, dann wird schnell gesagt, das sei langweilig, einfach weil der Standard, die Konvention nicht erfüllt werden. Bei Leuten, die sich mit Clubmusik beschäftigen, wird die Konvention beim Filmbild gern eingefordert. Sie geben sich einerseits als unkonventionelle Menschen, die sich in einem außerbürgerlichen Rahmen bewegen, und gleichzeitig wünschen sie eine konventionelle visuelle Aufbereitung. Etwas, was sich von einem Rosenmontagszug oder einer Fußball-Übertragung nicht unterscheidet. Wenn du aber herausfinden willst, was in einem Club musikalisch passiert, wie ein DJ arbeitet und wie sich die Gäste dazu verhalten, dann musst du meiner Meinung nach eine Plansequenz, also eine lange Einstellung ohne Schnitte, wählen.

Wieso?
Nur so zeigst du die ups and downs der Musik und der Clubatmosphäre. Nur so nimmst du das eine mit dem anderen wahr. Aber gerade in der visuellen Darstellung von Musik wird oft immer nur von up to up geschnitten. Durch den Schnitt geht die emotionale Aufladung verloren. Viele Leute sind gewohnt, dass man zum Beispiel auf den DJ schneidet, dann auf den Plattenteller und dann auf das Publikum. Aber lange Einstellungen, so wie sie zum Beispiel im Villalobos-Film in der Panorama Bar zu sehen sind, ergeben eine innere Dramaturgie. Beispielsweise hat jeder Raum seine eigene Lichtkonzeption. In der Panorama Bar verzichten sie komplett auf künstlichen Rauch und VJ-Animationen. Dieser dramaturgische Aufbau des Ortes unterscheidet sich von dem einer Großraum-Disko wie dem Amnesia, wo Tänzerinnen und Disconebel zum Standard gehören. Da ich jede zusätzliche Beleuchtung ablehne, nehme ich so eine weitere Ebene, die nur mit dem speziellen Raum zusammenhängt, ungefiltert auf. Wenn du dir Musikdokumentationen wie Shine A Light von Martin Scorsese (über die Rolling Stones, Anm. d. R.) anschaust, dann stellst du fest, dass die so viel Licht aufbauen, dass der Arsch von Mick Jagger verbrennen könnte. Da stehen letztlich nicht die Rolling Stones im Mittelpunkt, sondern der Regisseur steht da. Bei mir ist der Künstler das zentrale Motiv.

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