Richard Chartier aus Los Angeles dürfte einer der diskretesten und minimalsten Klangkunst-Komponisten dieser Tage sein. Die Alben unter seinem eigenen Namen frönen einer Kultur der Aufmerksamkeitsintensivierung aus dem Verschwinden, aus der Abwesenheit jeglichen Ereignisses, eines radikalisierten „fast nichts“. In seinen Arbeiten als Pinkcourtesyphone, was wohl so etwas wie sein Pop-Alias darstellt, ist diese forcierte Bescheidenheit zwar immer noch spürbar, aber doch schwächer ausgeprägt. So führt Taking Into Account Only A Portion Of Your Emotions (Editions Mego) einen leicht düsteren aber immer noch ausreichend unaufdringlichen nebelhaft verwaschenen Drone-Ambient in Extreme die zwischen Klangtapete und Deep Listening nicht mehr unterscheiden kann. Wie bei allen Arbeiten Chartiers ist ein langer Atem hier grundlegend.


Stream: PinkcourtesyphoneReference Point Intermission I

Hinter der unauffälligen Projektbezeichnung Hexa verbergen sich gleich drei große Namen. Auf der musikalischen Seite Jamie Stewart von Xiu Xiu und der australische Label- und Galerienbetreiber, Musiker und Produzent Lawrence English. Auf der inhaltlichen Seite steht David Lynch. Factory Photographs (Room40) ist die Vertonung, oder vielleicht eher geräuschhafte Begleitung, einer Lynch-Retrospektive in Brisbane im vergangenen Jahr, spezifisch zu Lynchs meditativen Fotos leerer Fabrikhallen, die einen wesentlichen Teil der Ausstellung ausmachten. Die klangliche Umsetzung der kleinen Experimental-Supergroup ist angemessen statisch und spröde. Feldaufnahmen leerer Räume, minimal bearbeitet und kaum bis gar nicht von melodischen Elementen gestört. Das ist Ambient als Gefühl von Raum, Ambient im ursprünglichen Wortsinn also.


Stream: HexaFactory Photographs

Aus Australien kommt heuer eine weitere mehr als ordentlich prominent besetzte Gruppenarbeit. Für sein ungefähr vierzigstes Album Hubris (Editions Mego) hat Percussionist und Gitarrenmanipulator Oren Ambarchi gleichgesinnte aus allen Sparten um sich geschart, von der Soundart- und Field Recording Spezialistin Crys Cole, über die Modularsynthesizervirtuosen Keith Fullerton Whitman und Konrad Sprenger, die Improv-Veteranen Arto Lindsay und Jim O’Rourke zu den Techno-Großköpfen Mark Fell und Ricardo Villalobos. Ambarchis Arbeit oszilliert stetig zwischen den Polen Free Jazz, Ambient und (Post)-Rock. Aktuell bewegt er sich in Gefilden, denen er sich mit dem 2014er Album Quixotism schon einmal angenähert hatte. Rhythmisierte Phrasen, die in krautiges Pluckern (“Hubris 1”), wurzelfolkige Akustikgitarre (“Hubris 2”), oder derbes E-Gitarren Feedback (“Hubris 3”) aufgelöst werden. Die Remix-EP Hubris Variations (Black Truffels) von Ricardo Villalobos bleibt dagegen im etablierten Rahmen: staubtrockener Villalobos-Minimal mit kurzen, sparsam eingesetzten Samplesplittern aus Ambarchis Originalen.


Stream: Oren AmbarchiHubris 3


Wenn es um das Vinyl-Mastering elektronischer Musik geht, dürfte Rashad Becker vom Berliner Dubplates & Mastering-Studio einer der bekanntesten Toningenieure der Welt sein. Auch als Musiker geht es ihm um klangliche Perfektion, wenn auch auf etwas andere Art und Weise als vielleicht erwartet. Wie schon der erste Teil verweigert sich die sanft ironisch betitelte Traditional Music Of Notional Species II (PAN) jeglicher traditioneller musikalischer Struktur, sei es nun Melodik oder Rhythmus. Becker geht es um dir Realisierungsweisen von Klang, um die sich stetig erweiternden Möglichkeiten mit elektronischen Mitteln ungeahnte und unerwartete Sounds zu generieren. Spezifisch geht es um die Rettung dieser Möglichkeiten vor dem Paradox, dass sie mit zunehmender Verbreitung und Vereinfachung der technischen Mittel ihrer Erzeugbarkeit immer weniger genutzt werden. So kann diese versierte Collage außergewöhnlicher und selbstverständlich überragend produzierter elektronischer Soundfragmente, mal als Arca oder Lotic ohne Beat, mal als eine Art avanciertes elektrisches Türenquietschen gelesen werden. Oder in den Worten Jan St. Werners von Mouse On Mars, als „Transformation einfach hergestellter komplizierter Musik in kompliziert hergestellte einfache Musik“.


Stream: Rashad BeckerDances VI

1
2
3
4
Vorheriger ArtikelElectronic – Body – Music
Nächster ArtikelBloody Mary