Foto: Tyler Jones (Frankie Hutchinson, Christine Tran & Emma Olsen)

Zuerst erschienen in Groove 162 (September/Oktober 2016).

Frauen im Bereich der elektronischen Musik sind noch immer unterrepräsentiert. Das zeigen nicht zuletzt die Line-ups der großen Festivals. Kollektive wie Discwoman aus New York und Mint aus Berlin fördern die Sichtbarkeit von Künstlerinnen und sorgen so für mehr Diversität in der Clubkultur.

Wenn sich der Schatten der Nacht über die Dächer Mexico Citys legt, gehen in einer Parkgarage im Stadtteil Roma Norte die Neonlichter an. Schwarze Silhouetten tanzen im rotvioletten Nebel zu obskuren Techno-Beats und markerschütternden Basslines der mexikanischen Produzentin Demian Licht, einer der Künstlerinnen, die auf dem ersten Discwoman-Event in Mexiko gastierten. Seit zwei Jahren veranstaltet das New Yorker Kollektiv um die Gründerinnen Frankie Hutchinson, DJ Emma Olson (alias UMFANG) und Christine Tran Techno-Events, Festivals und Workshops, um seine Botschaft auf den Tanzflächen der Welt zu verkünden: mehr Diversität in der Clubkultur. Denn so facettenreich wie die elektronische Musik selbst sollten auch ihre Line-ups sein. „Es geht bei Discwoman nicht ausschließlich um die Präsenz von Frauen, sondern um Vielfalt in all ihren Facetten. Egal ob sexuelle Orientierungen, Nationalitäten oder Geschlechter. All das trägt zu einer reicheren Musikkultur bei“, so Frankie Hutchinson.

Demian Licht (Discwoman): „Ich habe viel Diskriminierung und Sexismus in der Musikindustrie erlebt“

Neben regelmäßigen Veranstaltungen in ihrer Heimatstadt und im Rest der USA schauen sie auch über den eigenen Plattentellerrand hinaus und wählen bewusst Orte aus, die sich von der elektronischen Musiklandschaft New Yorks unterscheiden. „Wir sind hier sehr verwöhnt, das heißt nicht, dass es keine Probleme gäbe, aber die Infrastruktur ist gut und die Szene grundsätzlich sehr liberal“, erklärt Frankie. „In Ländern wie Mexiko gibt es das in dieser Form noch nicht. Deshalb habe ich großen Respekt vor den Artists, die sich dort trotzdem gegen alle Widerstände durchsetzen.“

Eine der Künstlerinnen ist die eingangs erwähnte Producerin Luz Gonzalez Torres, alias Demian Licht, die derzeit einzige Frau Lateinamerikas mit einem Ableton-Trainer-Zertifikat. Als Demian vor zehn Jahren nach Mexico City zog, um Sound-Engineering zu studieren, war sie als Frau mit ihrer Leidenschaft für Musiktechnologie eine Einzelkämpferin. Sie empfindet ihr Heimatland als noch immer stark vom „Machismo“ geprägt, der sich auch in der Clubkultur widerspiegelt. „Ich habe viel Diskriminierung und Sexismus in der Musikindustrie erlebt, aber ich erkenne auch, dass es sich langsam wandelt und die Präsenz von Künstlerinnen im Bereich der elektronischen Musik größer wird.“

Mit ihrem Label Motus Records und der Plattform Motus Org verfolgt sie das ambitionierte Ziel, die elektronische Musiklandschaft Mexikos zu revolutionieren und die Einführung innovativer Musikproduktionstechnologien und Avantgarde-Kunst zu fördern. Für Demian war das Discwoman-Event in Mexico City ein musikalischer Meilenstein, bei dem die besten Künstlerinnen des Landes Seite an Seite mit amerikanischen DJs wie The Black Madonna endlich Gehör fanden. Darunter auch Demians ehemalige Schülerin Nina Sonik, die das feierfreudige Partyvolk mit einem mystisch-düsteren und dabei gleichzeitig dynamischen Live-Set, gepaart mit harten Bässen, melancholischen Melodien und schnellen Rhythmen, in Trance spielte. Dabei folgt ihre Musik keinem speziellen Genre, sondern besteht aus fließenden Übergängen verschiedenster Genre-Elemente, die über TripHop, Future Beat und Base bis hin zu Techno und Disco reichen.

DISCWOMAN: GEGEN DEN WERTEVERLUST

Die Discwoman-Crew
Die Discwoman-Crew

Discwoman setzt ein lautstarkes Statement gegen den Sexismus und inspiriert damit Künstlerinnen auf der ganzen Welt, selbst aktiv zu werden. In den vergangenen zwei Jahren haben sie so einen internationalen Dialog initiiert, der ein Bewusstsein für die Unterrepräsentanz von Frauen in der elektronischen Musiklandschaft schafft. „Wir bekommen E-Mails aus der ganzen Welt, die uns in dem bestätigen, was wir tun, und erweitern unser globales Netzwerk immer mehr“, sagt Hutchinson. Inzwischen reicht es bis nach Europa und im Herbst gastieren Discwoman zum ersten Mal mit Event-Reihen und Workshops in Deutschland, Spanien, Norwegen, England, Polen und Frankreich. Doch es werden auch kritische Stimmen in der Szene laut, die argumentieren, dass es Künstlerinnen nicht helfe, Events mit ausschließlich weiblichen Line-ups zu veranstalten, da dadurch ihr Geschlecht und nicht ihr Können im Vordergrund stehe. „Wir haben Discwoman nicht gegründet, weil wir uns als Frauen unterdrückt fühlten. Es ist uns aber aufgefallen, dass es viele talentierte Künstlerinnen gibt, die man sonst nirgendwo spielen sehen kann“, so Hutchinson. „Mit unseren Events bieten wir DJs und Produzentinnen eine Plattform, damit sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Nicht weil sie Frauen sind, sondern weil sie gut sind.“

Nach ihrer ersten Party im New Yorker Bossa Nova Club wurde die Presse auf die drei Techno-Feministinnen aufmerksam und Musikjournalist Michaelangelo Matos porträtierte Discwoman in einem NPR-Radiobeitrag. Unter dem Artikel sammelten sich kurz nach Veröffentlichung Kommentare, die zeigen, wie relevant und zeitgemäß die Arbeit von Kollektiven wie Discwoman heute ist. Sie reichten von „Why don’t you make real music, man?“ über „Women need to stop complaining“ bis hin zu „Boys and men are attacked by feminism“. Und erst im Juni kam die Diskussion um Sexismus in der elektronischen Musikindustrie erneut in Fahrt, als die schottische Producerin DJ Nightwave während ihres Boiler-Room-Sets in Paris eine Flut ungefilterter und beleidigender Kommentare über Facebook Live erhielt.

Laut einer Studie des Netzwerks female:pressure bestand das Line-up von 44 internationalen Festivals im Jahr 2015 zu 82 Prozent aus Männern. Lediglich 18 Prozent der Plattenlabels im Bereich der elektronischen Musik haben Frauen unter Vertrag. Damit mehr Künstlerinnen auf den DJ-Kanzeln und Festivalbühnen der Welt zu sehen sind, müsse ein Umdenken bei Veranstaltern, Bookern und Promotern stattfinden, sagt Frankie. Um auch auf Managementebene Einfluss zu haben, hat Discwoman deshalb eine Bookingagentur gegründet. Oft mussten sie Gigs absagen, weil die Bezahlung nicht angemessen war oder ihnen fadenscheinige Deals angeboten wurden, die statt einer Gage ein Fotoshooting vorsahen. „Es geht uns nicht darum, Millionen zu verdienen, aber eine angemessene Bezahlung hat auch viel mit dem Respekt für das Talent unserer Artists zu tun“, so Frankie Hutchinson.

Für die Discwoman-Mitbegründerin Emma Olson alias UMFANG repräsentiert ihr Roster auch die Diversität, die sie bei vielen Plattenlabels und Bookingagenturen sonst vermisst. Darunter die multidisziplinäre Künstlerin Shyboi, die elektronische Musik als kulturelles Ausdrucksmittel nutzt, um ihre jamaikanische und amerikanische Identität zu thematisieren. Dabei verwendet sie metallische Dubstep-Bässe oder kreiert donnernde Club-Workouts, die von Breakbeat und HipHop bis zu Kuduro reichen können, einer angolanischen Mischung aus Samples afrikanischer Percussion mit Calypso- und Socarhythmen. „Diversität in der Clubkultur trägt nicht nur zu einer vielfältigeren Musiklandschaft bei, sondern auch zu einem vielfältigeren Publikum. Man spricht dadurch verschiedene Gruppen von Menschen an und der Club wird zu einem toleranten Ort der Begegnung.“ Ihrer Meinung nach leidet die elektronische Musiklandschaft unter einem Werteverlust und dagegen machen Discwoman mobil. Wöchentlich sendet Discwoman bei The Lot Radio aus einem Schiffscontainer in Brooklyn musikalische Messages in ihren New Yorker Orbit. Dabei legen in ihrer Show DJs verschiedenster Niveauklassen auf und es spielt keine Rolle, ob sie das mit Vinyl oder ausschließlich digital tun. „Von unserer Seite gibt es da keine Vorurteile. Gerade im Bereich der elektronischen Musik sollte man sich neuen technischen Möglichkeiten nicht verschließen“, erzählt Hutchinson. „Viele ziehen Vinyl-DJs vor, das finde ich problematisch. Denn neue Technologien halten auch immer neue Formen von Kreativität bereit.“ Mit dieser Haltung stehen Discwoman für eine demokratische Clubkultur, die die strenge Credibility-Maxime zu entkräften versucht.


Stream: Groove Podcast 82 – UMFANG (Emma Olsen)

MINT: ZUSAMMEN IST MAN WENIGER ALLEIN

Das Berliner Pendant zu New York heißt Mint und wurde vor drei Jahren von DJ Ena Lind und Bookerin Zoe Rasch gegründet. So wie Discwoman umfasst auch das Mint-Universum eine Event-Reihe, Workshops und eine Bookingagentur. Doch so sehr sich ihre Ansätze auf den ersten Blick auch ähneln mögen, so verschieden sind sie. Denn jedes Kollektiv bringt seine ganz individuelle Handschrift mit. „Wir kuratieren unser Booking nach sehr strengen Regeln und haben dabei auch hohe technische Ansprüche“, erklärt Ena. „Wenn man Partys veranstaltet, bei denen in erster Linie Frauen auflegen, wird man anfangs schon etwas belächelt und man muss deshalb umso mehr mit Qualität überzeugen.“

Seit ihrer ersten Mint-Klubnacht vor drei Jahren haben sie auch die strengsten Kritiker bekehrt und sich in der elektronischen Musiklandschaft Berlins einen guten Ruf erspielt. Doch bevor die Türen namenhafter Clubs wie dem Prince Charles, ://about:blank oder dem Farbfernseher aufgingen, mussten sie sich mit Konzerthallen begnügen, in denen jeder Soundcheck zur akustischen Zerreißprobe wurde. Heute ist das Vergangenheit und die Mint-Klubnacht hat sich als verlässliche Partygröße etabliert, die auch offen ist für Neues. „Wir wollen flexibel bleiben für Veränderungen. Anfangs haben wir ausschließlich Künstlerinnen gefeatured, aber schließlich haben wir uns dazu entschieden, auch Künstler zu buchen“, erklärt Zoe. „Das Line-up muss nicht zu 100 Prozent aus Frauen bestehen und es gibt viele männliche Feministen da draußen, die gut finden, was wir machen.“

Mint-Crew aus Berlin: Ena Lind, Zoe Rasch, La Fraicheur, Lauren Flax, Dasco, Soumaya Phéline (stehend v.l.n.r) Denise Swan, Lady Blacktronica (sitzend v.l.n.r.) Foto: Joie Iacono
Mint-Crew aus Berlin: Ena Lind, Zoe Rasch, La Fraicheur, Lauren Flax, Dasco, Soumaya Phéline (stehend v.l.n.r)
Denise Swan, Lady Blacktronica (sitzend v.l.n.r.) Foto: Joie Iacono

Ihre Message verbreitet Mint nicht mit dem feministischen Vorschlaghammer, denn Politik und Party sind für die Mehrheit des Clubpublikums keine Einheit. Ena und Zoe werben deshalb nicht explizit mit ihrem weiblichen Line-up, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Geschlechterthematik zu lenken. „An erster Stelle stehen der Spaß und gute Musik. Wenn den Leuten dann am Ende der Nacht noch auffällt, dass unser Line-up fast ausschließlich aus Frauen bestand, haben wir unsere Mission erfüllt“, sagt Zoe.

Ena Lind (Mint): „Man lernt viel über die kulturellen Unterschiede, die sich auch in der elektronischen Musikszene widerspiegeln “

Neben der Klubnacht liegt ein wichtiger Fokus ihrer Arbeit auf der Workshop-Reihe Mint-Campus, die vom Musicboard Berlin gefördert wird. Die Einrichtung unterstützt seit 2013 innovative Projekte im Bereich der Popmusik, um die kulturelle Reputation Berlins als Musikmetropole zu erhalten. Durch diese Support-Förderung ist es Mint möglich, ihr Know-how rund um das Produzieren von Musik und das Auflegen im Club weiterzugeben. Um effizient zu schulen, unterscheiden sie in Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene. Ena leitet die Workshops und ist immer wieder überrascht von dem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, mit dem die junge Generation mit Technik umgeht. „Die Digital Natives haben ein ganz anderes Verständnis für Technik und einige von ihnen bringen bereits viele Vorkenntnisse mit. Es ist interessant zu sehen, wie Leute, die vorher überhaupt nichts mit elektronischer Musik zu tun hatten, auf einmal zu Producern und DJs werden und sogar auf Labels releasen“, so Ena.


Stream: Groove Podcast 76 – Ena Lind

Erst kürzlich reiste Ena im Rahmen von Mint-Campus nach Uganda, um dort eine Workshop-Reihe mit DJ Rachel Kungu zu leiten. Sie gilt als die erste international tätige DJ Afrikas und hat mit der Unterstützung vom Goethe-Institut das Kollektiv Femme Electronic gegründet, um afrikanische Frauen an die elektronische Musik heranzuführen. Seit 15 Jahren ist DJ Rachel eine feste Größe in Ugandas Clublandschaft und eine der ersten Frauen Afrikas, die öffentlich zu ihrer Homosexualität stehen. „Es war eine einzigartige Erfahrung, dort zu arbeiten, aber viele Dinge, die ich hier für selbstverständlich halte, laufen in Uganda anders“, so Ena. „Ich bin Vinyl-DJ und wollte auch während der Workshops mit Vinyl unterrichten, bis ich kurz vor der Abreise erfahren habe, dass es in Uganda weder Plattenspieler noch Plattenläden gibt. Man lernt viel über die kulturellen Unterschiede, die sich auch in der elektronischen Musikszene widerspiegeln.“ Die Zusammenarbeit in Uganda war ein erster Schritt über die Grenzen Berlins hinaus. In Zukunft möchte Ena Mint-Campus auch in anderen Städten Deutschlands und Europas etablieren.

Mint-Gang Foto: Joie Iacono
Das Mint-Kollektiv Foto: Joie Iacono

Mint-Booking ist ein weiterer wichtiger Teil des Plattform-Puzzles, für den in erster Linie Zoe verantwortlich ist. Neben Ena vertritt die Bookingagentur derzeit fünf weitere Künstlerinnen. Nach 15 Jahren Erfahrung in der elektronischen Musiklandschaft hat Zoe ein Gefühl dafür entwickelt, was dem Zeitgeist entspricht. Bei der Auswahl ihrer Artists ist sie sehr selektiv, auch hier stehen der hohe technische Anspruch und Qualität statt Quantität im Vordergrund. Darüber hinaus muss es auch menschlich harmonieren, denn Mint versteht sich als Gemeinschaft. Regelmäßige Networking-Dinner dienen dem Austausch und stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. „Man erreicht einfach mehr, wenn man sich zusammenschließt, die Ellenbogenkultur hat ausgedient. Während unserer Treffen besprechen wir mögliche Kooperationen, man tauscht Kontakte und technisches Know-how aus oder diskutiert Herausforderungen und Probleme, die bei Gigs aufgetreten sind“, erklärt Zoe. Gemäß dem Motto „Zusammen ist man weniger allein“ hilft es Künstlerinnen, die noch nicht in der Szene etabliert sind, Teil eines Kollektivs zu sein und dadurch mehr Gehör zu finden. „Wir würden uns sehr freuen, wenn ähnliche Gemeinschaften wie Mint auch in anderen Städten Deutschlands entstehen“, so Zoe. „Mit Discwoman aus New York, Siren aus London oder der Apeiron Crew aus Kopenhagen ist ein internationales Netzwerk entstanden und man hat die nötige Stärke, die Clublandschaft aktiv mitzugestalten und zum Positiven zu verändern.“


Stream: Lady BlacktronikaGroove Podcast 62

Vorheriger ArtikelAli As – Platzhirsch
Nächster ArtikelEin Stamm ohne Grenzen