Das Scheitern von Brain Candy markierte den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Dem ursprünglichen Erfolg zum Trotz verloren viele der Clubs von damals an kommerzialisierte Musik und mussten schließen, da sie durch zunehmende Gentrifizierung ihre Locations verloren. Ellen aber übernahm die Initiative. “Ich habe BPitch Control gegründet, weil der Bedarf da war: die Musik sollte am Leben erhalten werden. Viele der PionierInnen haben die Szene verlassen, weil sie ihrer überdrüssig geworden waren. Ich dachte mir, ‘Wenn ich das nicht mache – wer dann?'”

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Ellen schmiss eine Reihe von Partys, für die neue KünstlerInnen unter dem BPitch Control-Banner versammelte wurden. Der Rundumerneuerung der Clubszene aber stellten sich einige Hürden in den Weg. “Es gab niemanden, der mir das beibringen konnte”, sagt sie. “Also musste ich alles von Klein auf lernen. Ich habe eine Menge Geld verloren und nur noch selten gespielt. Es gab im Osten eine regelrechte Mafia, die den Promotern Geld abzog und ihnen obendrein eine reinhaute – eine ganz schön harte Zeit!”

Auch innerhalb der Szene begegnete Ellen einer Menge Widerstand. “Ich denke, wenn du als Frau neue Ideen mitbringst, werden Männer manchmal neidisch. Das war aber immer schon so, egal ob du Schauspielerin oder Malerin bist oder was auch immer machst. Es gab natürlich eine ganze Reihe von Diskussionen. ‘Kann die mixen? Kann die produzieren?’ Aber das wurde genauso über Männer gesagt.”

Letztlich sprach Ellens Musik für sich. Ihre ersten Alben Stadtkind und Berlinette wurden zu dieser Zeit veröffentlicht und wirkten sich stark auf die lokale Szene aus. Die dunkle, glitchige und originelle Ästhetik war von einer engen Bindung an Berlin geprägt und zementierte Ellens Position in der Community. Ellen erlangte schnell internationale Anerkennung und Berlin wurde in aller Welt für seine Clubszene gefeiert.

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Ellen hat seitdem sechs weitere Alben produziert, die alle von verschiedenen Perspektiven heraus ihre Heimatstadt beleuchten. “Ich arbeite auf jedem Album mit anderen Synthesizern”, erzählt sie. “Die Kollaboration mit Apparat (Orchestra of Bubbles aus dem Jahr 2009) war sehr poppig und fröhlich, was den kräftigen Basslines der von uns verwendeten Moogs geschuldet ist. Danach hatte ich genug vom Moog und habe mich mit ARPs beschäftigt. Das nächste Album war Sool, eine melodiösere, aber zugleich minimalistischere Platte. Mein Sound verändert sich von Album zu Album. Die Art, in der ich meine Lyrics schreibe, hält alles zusammen. Ich habe einiges aus meinem Leben zu erzählen und daraus lassen sich für mein Publikum verschiedene Interpretationen ableiten.”

Eine dieser Interpretationen betrachtet Ellens Musik als Spiegel für die Szene dieser Stadt, welche sie selbst mitgestaltet hat. Sie wurde im geteilten Berlin geboren, beobachtete seine Wiedervereinigung und stand an der Spitze einer neuen musikalischen Bewegung, die sich Freiheit und Offenheit auf die Fahnen geschrieben hatte. Während einige BerlinerInnen die Veränderungen der letzten Zeit kritisch betrachten, bleibt Ellen ausgesprochen optimistisch. “Es gibt eine Menge Dinge in dieser Welt, über die ich so gar nicht glücklich bin: wie Menschen Religionen für Kriege missbrauchen, die H&Ms und Zaras in meiner Nachbarschaft und so weiter. Aber Berlin ist immer noch lebendig, es ist immer noch aufregend. Es zieht neue Menschen an, neue MusikerInnen. Für Clubs gibt es immer noch Platz und Lizenzen. Es bietet denjenigen Raum, die anderswo keinen haben. Viele Außenseiter, wie etwa Homo- oder Transsexuelle kommen hierher und fühlen sich zuhause. Ich spiele in so vielen verschiedenen Clubs, nicht nur den großen, sondern auch kleinen – es passiert so wahnsinnig viel!”

Als Eine, die von Anfang dabei war, erinnert Ellen auch gerne alle NostalgikerInnen daran, dass Berlins Clubszene nicht immer perfekt war. “Früher war nicht alles besser! Die Musik ist heute viel besser! Es stimmt einfach nicht, dass die Szene heute schlecht oder gar tot wäre – das ist einfach nicht wahr! Es gibt genauso Clubs ohne Regeln, die tagelang geöffnet haben. Alle weinen denen Legenden der Vergangenheit nach, aber diese Underground-Clubs gibt es immer noch! Diese Leute beschweren sich, aber tun selbst gar nichts dagegen. Wenn ihr mich fragt, haben die einfach nicht die Eierstöcke dazu!”

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