Foto: Vitali Gelwich (Sven von Thülen)

Es gibt Menschen, die immer überall zu sein scheinen. Sven von Thülen ist so einer. Als DJ ist er fester Bestandteil der Berliner Szene, der er selbst seit 20 Jahren angehört. Aber auch als Journalist hat von Thülen der Clubkultur seinen Stempel aufgedrückt, einerseits als Autor der de:bug und andererseits mit Klang der Familie, der von ihm und Felix Denk zusammengestellten Oral History über die ersten Tage der Berliner Techno-Szene. Dass sein Backkatalog als Produzent dabei recht überschaubar ausfällt, verwundert angesichts eines so prallen Zeitplans weniger, von Thülen aber legt jetzt neu nach und veröffentlicht auf dem neuen Sublabel von John Osborns Label Tanstaafl. Wir sprachen mit Sven von Thülen über seine musikalische Vergangenheit, das Produzieren und warum Avicii nicht Theo Parrish ist. Hört seinen Beitrag zum Groove-Podcast nach unserem Interview!

 


 

Als du nach Berlin kamst, interessiertest du dich anfangs eher weniger für Techno und House – sondern eher für Punk und Hardcore. Wann und wie hat sich das geändert?
Als ich 1996 nach Berlin gezogen bin lagen meine Hardcore-Tage schon hinter mir. Ich mochte House und Techno, meine Liebe zu Jungle/Drum and Bass hat aber alles in den Schatten gestellt. Was sich auch beim Plattenkaufen bemerkbar gemacht hat. Ich war damals Stammgast bei Downbeat und New Noise und eher selten bei Hard Wax. Dementsprechend bestand meine erste DJ-Kiste aus Platten von Dillinja, Photek oder Roni Size. Zwei, drei Jahre später verschob sch das Verhältnis zwischen Breakbeats und House und Techno dann langsam aber sicher.

Obwohl du seit langer Zeit als DJ und Journalist in der Szene aktiv warst, hast du erst vor wenigen Jahren ausgiebiger mit dem Produzieren angefangen. Warum hast du dir dafür so viel Zeit gelassen?
Das war keine bewusste Entscheidung, sondern hat sich einfach so ergeben. Ein mitunter lähmender Hang zur Selbstkritik und Unsicherheit bezüglich meiner eigenen Tracks hat auf jeden Fall eine entscheidende Rolle gespielt. Ich habe dieses Ringen mit mir selbst in den letzten Jahren einfach besser in den Griff bekommen, daher gab es halbwegs regelmäßig neue Musik von mir. Da ist aber noch Luft nach oben.

Deine neue EP Stop wird als erste Katalognummer einer neuen Serie auf John Osborns Tanstaafl erscheinen: Dred. Was ist deine Beziehung zu John und seinem Label und was hat es mit dem Sublabel Dred auf sich?
Es gibt eine Menge großartiger DJs in Berlin, aus ganz unterschiedlichen Gründen. John ist meiner Meinung nach einer der besten, wenn es um deepe, dubbige Hypnose an der Grenze von House zu Techno geht. Ich war schon immer Fan von Tanstaafl von Tanstaafl Planets (dem jetzt eingestellten Sublabel). Außerdem sind wir bei der selben Booking-Agentur. Da lag es nahe, ihm Tracks zu schicken, sobald ich der Meinung war, dass es passen könnte. Als ich ihm “Stop” und “Acacia Visions” geschickt habe, hat er in Rekordgeschwindigkeit geantwortet. Ich glaube zwischen Upload und Signing lagen keine 30 Minuten. Dass er ein neues Sublabel starten will hat er mir danach erst verraten. Es ehrt mich natürlich, dass eine meiner Platten den Startschuss zu Tanstaafl Dred geben wird. Die nächsten Releases kommen von Henning Baer, HBNG aus Stockholm und Tom Diciccio, und es wird wie bei Planets wohl wieder nur bis Katalognummer 10 gehen.

Gemeinsam mit Felix Denk hast du mit Der Klang der Familie ein Standardwerk zur Techno-Geschichte geschaffen. Das Format der oral history sorgt zwar für größtmögliche Lebendigkeit, die Fülle von privaten Anekdoten wird aber schwierig zu ordnen gewesen sein. Gibt es besonders schöne Geschichten, die es nicht ins Buch geschafft haben?
Eine Oral History zu schreiben ist eine extrem ineffiziente Angelegenheit, bei der man große Mengen an Textmaterial produziert, von dem man letztlich nur einen Bruchteil verwendet. Aber anders geht es nicht, weil man ja am Anfang nicht weiß, wer was noch erzählen wird und wo einen die Geschichte am Ende hintreibt. Trotzdem macht es unglaublichen Spaß. Vor allem, wenn man an einem solch tollen Thema arbeitet. Natürlich gibt es einen ganzen Haufen von Anekdoten, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht ins Buch geschafft haben. Genauso wie prägende Clubs wie das Elektro, das WMF, oder das Exit nur am Rande erwähnt werden. Vielleicht gibt es ja irgendwann noch einmal die Chance, eine erweiterte Auflage zu veröffentlichen

Ihr habt den Endpunkt des Buches ungefähr zu der Zeit gesetzt, als Marushas “Somewhere Over The Rainbow” erschien und Techno im Mainstream ankam. Ähnlich wie damals wird heute EDM als Ausverkauf der Subkultur dargestellt. Wie bewertest du diese Entwicklungen?
Ich glaube nicht, dass man das vergleichen kann. Für viele frühe Szene-Aktivisten war “Somewhere Over The Rainbow” der absolute Sündenfall, weil sich nie zuvor so aus der Szene heraus einem Massen-Publikum angedient wurde. Und dann noch mit einer Coverversion, was ja auch, vor allem damals, quasi die Antithese zu Techno war. Mitte der Neunziger markiert insofern den Anfang des Übergangs von Techno als Subkultur hin zu einem Teil der Mainstream-Kultur. Eine Entwicklung, die in den letzten Jahren endgültig zum Abschluss gekommen ist, oder besser, einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Im Gegensatz dazu hat sich EDM schon immer in einem Paralleluniversum abgespielt. Es gibt keine Berührungspunkte zwischen Steve Aoiki und Marcel Dettmann oder Avicii und Theo Parrish.

Du bist gerade Vater geworden. Heutzutage ist das keine Seltenheit mehr, allerdings wird der Druck auf tourende DJs zugleich auch größer. Was ist notwendig, um beides miteinander vereinbaren zu können?
Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht so genau. Ich habe aufgrund der Vaterschaft den Ball in den letzten Monaten ziemlich flach gehalten und lediglich ein paar Mal in Berlin aufgelegt. Das Reisen steht jetzt demnächst wieder. Frag mich dann noch mal.

Hattest du für deinen Mix eine bestimmte Idee im Hinterkopf?
Ursprünglich wollte ich eher einen mit Electro und Electronica gespickten Listening-Mix machen, Mixtape-Style, ich bin dann aber ein paar Mal vom Weg abgekommen. Insofern ist das Ergebnis clubbiger als ich geplant hatte. Aber hört selbst.

 


Stream: Sven von ThülenGroove Podcast 74

01. Ryan James Ford – (ACR)
02. Ecotone – Collateral (Expansion Unit)
03. Pollon – Lonely Planet (Scopex)
04. Pangaea – One By One (Hessle Audio)
05. Tessela – Rub (Blueprint)
06. Planetary Assault Systems – Merry-Go-Round (Ostgut Ton)
07. Damon Wild – Melatonin (Synewave)
08. A Sagittarium – Clusters (Elastic Dreams)
09. Skee Mask – Shred (Ilian Tape)
10. Objekt – Shuttered (Bleep)
11. Der Zyklus – Formenverwandler (Clone)
12. D’Breeze – Crazy or Love (Autechre Remix) (Skam)

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Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.