Loco Dice by press_3

Fotos: Presse (Loco Dice)

Zuerst erschienen in Groove 157 (November/Dezember 2015)

Apropos Kritik, wie siehst du denn im Nachhinein deine Residency in dem ibizenkischen Mega-Club Ushuaia vor zwei Jahren?
Das war super! Die Leute, die sich darüber das Maul zerrissen haben, können mich alle am Arsch lecken, wenn ich sehe, dass all meine anderen Kollegen, die darüber abgehatet haben, nach mir dort gespielt haben. Ich habe da harten Gegenwind bekommen. Aber ich hatte ein qualitativ sehr geiles Line-up, ob’s Jus-Ed, DJ Q oder Marcel Dettmann war. Dem ein oder anderen hat’s vielleicht nicht so gut gefallen, weil es vielleicht das falsche Timing war.

Warum hast du dann ein Jahr danach überhaupt keine Residency auf Ibiza gehabt und nur einmal während der ganzen Saison gespielt?
Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf Ibiza, die Insel hat mich abgefuckt. Dort lügt dir jeder ins Gesicht. Ich hab’s nicht nötig gehabt, ich muss mich da nicht profilieren und tonnenweise Geld verdienen. Ich habe Ibiza mit dem Herzen kennengelernt und so will ich es auch behalten. Und ich war einfach nicht gut drauf und brauchte eine Auszeit.

 

„Du musst schon eine eigene Vision haben, um erfolgreich zu sein.“

 

Welchen Bezug hast du eigentlich zum Salon Des Amateurs und der ganzen Krautrock/Elektronik-Szene Düsseldorfs?
Der Salon ist ein geiler Club, da mach’ ich meine Desolat-Partys. Ich tauch’ da machmal sonntags unangekündigt auf und spiele. Das ist ein ganz kleiner Laden für vielleicht hundert Mann. Ich rufe dann meine Jungs an, ob Meat, DJ Q oder Benny Rodriguez, und frage, ob sie sonntags noch spontan spielen wollen, bevor sie wieder davonfliegen. Letztens hab ich Seth Troxler überredet, wir haben dann nur Disco und alte Chicago Booty-Platten gespielt.

Das ist also ein Rahmen, in dem du musikalisch freidrehen kannst?
Absolut! Da kann ich alles spielen und niemand sagt oder schreibt was darüber. Es ist eben der Salon.

Du könntest wahrscheinlich überall auf der Welt leben, vorausgesetzt es gibt einen Flughafen in der Nähe. Warum bleibst du Düsseldorf treu?
Weil mir hier niemand auf den Sack geht! Ich bin hier aufgewachsen. Ich weiß, wo ich den besten Döner bekomme und wo ich meine USB-Kabel kaufen kann. Hier habe ich meine Inspirationen. Mein Verein Fortuna Düsseldorf ist hier. Meine ganzen Leute sind so wichtig für mich. Ich komme von ’nem Riesenwochenende, gejettet von Las Vegas, Ibiza oder dem Berghain, bin dann zu Hause und einfach wieder nur der Dice. Hier gibt’s keinen Party-Tourismus, keinen Hype und Wirbel um mich.

Was ist deine Arbeit bei Desolat?
Ich mache das A&R, ich höre mir alle Demos an und Vladimir kommuniziert das dann mit den Künstlern. Es läuft auch alles super, wir verkaufen Platten und erreichen unseren Break-even. Das Geld nehme ich nicht raus, sondern es wird reinvestiert. Wir wollen das gar nicht so groß machen, sondern wollen, dass es gesund wächst. Ich schaue auf einen Künstlerstamm, von dem es inzwischen jeder gepackt hat. Da kann ich stolz drauf sein. Niemand ist slave of the label und kann sein eigenes Ding machen, aber jeder weiß auch, wo seine Homebase ist. Ich höre auch meine Promos selber! Nur so macht das Ganze Spaß und hält einen davon ab, abzudriften.

Deine Booking-Agentur Artist Alive ist inzwischen nach Berlin gezogen und verbucht über zwanzig DJs. Was hat sich für dich damit verändert?
Es ist inzwischen eine eigene Firma, an der ich nicht mehr beteiligt bin. Artist Alive hat nur mit mir nicht funktioniert. Das ist nicht gesund, wenn es so eine Pyramide gibt mit einem DJ an der Spitze. Dieses Konzept musste beendet werden. Deswegen sind die nach Berlin und machen ihr eigenes Ding. Und das merkt man jetzt auch, es dreht sich nicht mehr nur um Loco Dice, es geht um jeden einzelnen Künstler. Aber was manche nicht verstehen: Du musst schon eine eigene Vision haben, um erfolgreich zu sein.

Warum braucht heute jeder DJ einen Manager?
Das Business ist undurchsichtiger und komplizierter geworden. Die Festivals und Clubs dealen nicht nur mit deinem Agenten. Wenn heute eine Remix-Anfrage aus England kommt, blickt man durch die Verträge gar nicht mehr durch. Mein Manager ist sozusagen mein Partner, meine ausführende Kraft und zweite Gehirnhälfte – weil meine ist verbraten nach dem Wochenende. Ich kann montags oder dienstags doch keine hundertprozentigen Entscheidungen treffen. Die Zeiten sind heute wieder wie in den Neunzigern schon mal, mit den ganzen Maydays: Es ist ein Entertainment-Business. Cocoon zum Beispiel ist ein Riesending. Man darf nicht vergessen, dass da heute eine Menge Arbeitskräfte dranhängen. Alles ist viel größer geworden und das verstehen manche nicht. Manager ist ein böses Wort, aber was ist er letztendlich? Er kümmert sich darum, dass die Verträge in Ordnung sind, du deine Tantiemen bekommst und nicht abgerippt wirst. Alleine wenn das Amnesia wegen einer Residency anfragt: Da werden mit Summen hantiert, wie soll ich das denn einschätzen? Wenn die sagen: Summe X, sag ich natürlich super!


Stream: Loco Dice feat. JAWParty Angels (Henrik Schwarz Remix)

Welche Ziele hast du als DJ eigentlich noch?
Mit tollen Leuten zusammenzuarbeiten, darum geht es doch hauptsächlich für mich. Neue Impulse aufzusaugen, etwas Neues zu lernen. Du lernst nie aus!

Welche Musik hörst du unter der Woche?
Meine Ohren frei bekomme ich mit Jazz und sehr viel Reggae. Wenn ich reise, zwischen den Gigs, höre ich viel Bob Marley. Dieser Mensch hat so eine positive Wirkung auf mich. Das beruhigt mich und macht mich sanft und friedlich. Und zu Hause läuft auch mal ’ne alte Sinatra-Platte. Von einer Freundin habe ich kürzlich ein Album von Fela Kuti bekommen, die sind ja gerade wieder alle neu gemastert worden. Ich baue mir gerade zu Hause ein neues DJ-Pult, da freue ich mich, wenn es fertig ist. Freunde einladen, eine Flasche Wein trinken und Musik hören, das ist geil. Ich finde es toll, bei Freunden durch die Plattensammlung zu gehen und Sachen zu entdecken, sei es Cosmic Jazz oder Dub Techno. Man darf nicht vergessen, dass wir alle DJs geworden sind, weil wir lieben, was wir tun. Musik ist unsere Passion. Wenn man keine Musik mehr hört, stimmt irgendwas nicht.

Du hast vor Kurzem in deinem Herkunftsland Tunesien gespielt, wie war das?
Hammer! Die sind extrem intelligent und wissen genau, was abgeht. Die haben Ahnung! Diese Länder sind so gebeutelt vom Terrorismus und die wollen jetzt einfach feiern. Das ist deren Hoffnung. Und das lassen die sich von niemandem kaputt machen, das ist eine neue Bewegung. Und für mich ist es wichtig, da hinzugehen und zu spielen, obwohl kurz davor schon wieder Anschläge waren. Meine ganze Familie war da, meine Mutter, meine Onkels, alle auf der Bühne. Herrlich! Und die lassen sich von keinem kommerziellen DJ auf der Welt mehr für blöd verkaufen. Das war ein Festival mit sechs- bis siebentausend Leuten, aber da gibt’s keine VIP-Kultur, die sind viel geerdeter. Ich war so stolz auf all meine Landsleute, dass ich mit Tränen in den Augen nach Hause gefahren bin.

Wie siehst du die ganze Flüchtlingsdebatte gerade?
Ich finde das alles sehr traurig. Wir werden uns da auch engagieren, wir hatten gerade einen Flüchtlingshelfer bei Desolat im Büro, mit dem wir geredet haben. Ich habe eine politische Meinung, aber darüber rede ich nicht in der Öffentlichkeit. Ich bin kein Politiker, der sich an öffentlichen Debatten beteiligen möchte. Aber wenn ich helfen kann, mache ich das auch. Ich komme aus Tunesien, ich habe Armut und politisch Verfolgte gesehen. Ich bin in einem Deutschland aufgewachsen, wo es noch kein cooles Berlin gab. Sondern da war ich als Schwarzkopf der Moruk und wurde im Supermarkt doof angeschaut. Ich bin mit 18 Jahren fast abgeschoben worden und habe dann die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, um hier zu bleiben. Ich kann mich also in einen Flüchtling gut hineindenken. Aber jeder kann nur das machen, was er kann, in meinem Fall ist es, den Leuten sechs Stunden eine gute Zeit zu geben. Ich sehe uns DJs ja auch ein bisschen als Botschafter des Friedens: Je mehr Kulturen man kennenlernt, desto einfacher wird hoffentlich auch das Zusammenleben.

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