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Moogfest 2016

Niemand ist alleine auf der Toilette

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Alle Fotos: Thomas Venker

Wer Marea Stamper alias The Black Madonna schon mal in Persona erleben durfte, weiß, wie nett und umgänglich die US-amerikanische DJ und Produzentin ist. Doch gerade jetzt bekommt sie sich kaum mehr ein, die Worte rasen erregt über ihre Lippen: „Es handelt sich um einen gewalttätigen Angriff auf Leute, die sowieso schon zu den verletztlichsten überhaupt gehören“, gibt sie mir zu verstehen.

Was war geschehen? Wir befinden uns in Durham, North Carolina, wo eigentlich nur das Moogfest stattfindet, eine hoch sympathische Kombination aus Musikfestival, Kunstausstellung, Panels und Workshops – in diesem Jahr allerdings unter politisch extrem aufgeheizten Bedingungen. Denn die Legislative des amerikanischen Bundesstaats North Carolina hat (im Schulterschluss mit Alabama) die sogenannte „Bathroom Bill“ (HB2) erlassen. Nach dieser ist es Transgender-Personen nicht mehr erlaubt, die Toilette ihrer Wahl aufzusuchen. Stattdessen müssen sie sich strikt gemäß ihres biologischen Geschlechts verhalten.

Dieser Rückschritt in die finsterste Steinzeit rief eine angemessen heftige Protestwelle hervor und Musiker wie Bruce Springsteen und Ringo Star sagten ihre Auftritte in North Carolina zuletzt ab – und nicht wenige beim Moogfest involvierte KünstlerInnen dachten auch darüber nach. In enger Kommunikation mit Adam Katz, dem CEO und Creative Director des Festivals, entschieden sie sich aber für eine andere Form des aktiven Widerstands. „Wir waren uns alle einig, dass Boykott für uns nicht der Weg ist“, berichtet mir Katz in einer kurzen Kaffeepause während des Festivals. „Aber wir wollten uns auch nicht zu Komplizen machen und einfach stumm weiter arbeiten und so kreierten wir aus den Statements, die wir von KünstlerInnen wie Gary Numan, The Orb und Black Madonna bekamen, eine gemeinsame Synthesizer Love.“

The Black Madonna
The Black Madonna

Dieses kolllektive Statement betont, dass Durham, die Geburtsstadt von Moog-Gründer Robert „Bob“ Moog, sich in der Tradition eines toleranten und weltoffenen Klimas sieht – wovon nicht zuletzt die Firmengeschichte selbst zeugt: Moogs langjährige Assistentin war schließlich Wendy Carlos, deren Switched-On Bach zu den epochalsten Synthesizer-Werken gehört und mit ihren Bach-Interpretationen überhaupt das Interesse an Synthesizern weckte. Carlos trug bis zu ihrer geschlechtsangleichenden Operation den Vornamen Walter. Ein Fakt, den auch Stamper, die die Gage für ihr Set übrigens komplett für den Kampf gegen die Gesetzgebung zur Verfügung stellt, betont: „Diese Firma hat so eine positive kreative Bindung zu Menschen mit unterschiedlichen Gender-Identitäten. Darauf gilt es aufzubauen – und wenn das bedeutet, dass man zusammen auf die Toilette gehen muss. Gemeinsam sind wir stark!“

Nun, soweit muss man in Durham glücklicherweise nicht gehen. Denn im soziopolitischen Alltag ist das Gesetz hier nicht angekommen. Immerhin das bleibt den Betroffen erspart. Der Bösartigkeit dieser symbolischen Politik tut es jedoch keinen Abbruch.

Robert Hood
Robert Hood

Man wird dem Moogfest aber nicht gerecht, wenn man nur vom politischen Kontext berichtet. Das Festival hat mit Durham (nach Gastspielen in Asheville und New York) endlich den perfekten Ort gefunden. Die kleinstädtische Atmosphäre sorgt für einen entspannten Grundvibe, die sehr kurzen Wege zwischen allen Locations machen es einem leicht viel von dem hervorragend zusammengestellten Programm mitzubekommen. So kann man problemlos in fünf Minuten zwischen der großen Outdoor-Festivalbühne (auf der unter anderem Grimes, GZA und Odesza spielten), dem wundervollen Carolina Theater (in dem tagsüber Bühneninterviews mit Laurie Anderson über ihr Lebenswerk und GZA über sein wissenschaftliches Interesse stattfanden und nachts Tim Hecker, Ben Frost und Oneothrix Point Never auftraten) und der zur Dancehall umfunktionierten Turnhalle The Armory (wo unter anderem Robert Hood, The Orb und DJ Harvey auftraten) hin und her spazieren und auf dem Weg noch diverse Sound- und Kunstinstallationen oder auch den Moog-Shoowroom inspizieren. In anderen Worten: die ganze Stadt ist ein einziges Moogfest.

Das Panel zu Reggae Sound Systems und Dub
Das Panel zu Reggae Sound Systems und Dub

Besonders hervorzuheben gilt es das fantastische Set von Black Madonna, die unter dem feiernden Einfluss einer Clique von Kindheitsfreuden, die extra aus Kentucky angereist waren, selbst am meisten Spaß hatte. Sunn O))) gelang auf der Hauptbühne das Kunststück, ein Publikum, das eigentlich auf Empress Of und GZA wartete, mit ihrer Wall of Drone für sich zu gewinnen. Dieses versöhnlich-konfrontative Potential teilten sie sich mit der Footwork-Produzentin Jlin, zu deren ultrabrutal rollendem Set am Ende alle durchdrehten wie einst zu Happy Hardcore-Zeiten.

Von den Panels stach besonders jenes zum Thema „Reggae Sound Systems und Dub“ heraus, auf dem unter anderen der Mad Professor saß, und bei dem in hoher Frequenz antikapitalistische Statements rausgehauen wurden. Passender Weise stand die anschließende Soundsystem-Block-Party allen Bewohnern von Durham ohne Eintritt offen. Ein Angebot, auf das sich alle gerne einließen.

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