Vor einigen Jahren bist du von Schallplatten und CDs auf Musikdateien zum DJen umgestiegen. Wie hat das dein Auflegen verändert?
Mein Auflegen hat das nach vorne gebracht. Ich war früher immer neidisch auf Traktor-DJs, weil die Loops setzen konnten. Aber das Auf-Den-Bildschirm-Gestarre fand ich immer furchtbar. Ich mag es mit den Pioneer CDJs aufzulegen. Ich bin endlich nicht mehr getrieben von dem Ende der Platte und ich kann die Spannung steigern, indem ich Loops setze. Letztens in Amsterdam hab ich zwei Loops übereinander laufen lassen und bin auf’s Klo gegangen. Ich wusste, dass die auseinander driften, weil ich kein Beat Synch benutze, aber das war gerade geil. Die Leute lachten schon, als ich vom Dixie-Klo zurück kam, dann hab ich den Loop aufgelöst, Beat kam rein, feinste Laune. Das nächste Mal sollte ich vielleicht für 15 Minuten verschwinden! Früher hab ich mit einer Mischung aus Vinyl und CDs aufgelegt. Die Vinyls knackten, Plattenspieler waren defekt, die Beschriftung der CDs konnte ich nur mit einer Taschenlampe lesen, die Hälfte lag in der Champagnerlache auf dem Boden, aber vor allem fühlte ich mich die ganze Zeit getrieben von den sechs Minuten der Platte. Jetzt ist da viel mehr Ruhe drin. Ich spiele immer mit drei CDJs. Zwei, die ich im Kopf hab’, und der dritte ist dann Freestyle. Da sind dann zwei Tracks, bei denen ich glaube, dass sie gut zusammenpassen und auf dem dritten CDJ ist dann ein Stück, dass mich selber überraschen oder inspirieren kann. Das gibt mir viel mehr Möglichkeiten. Das ist wie jonglieren mit drei statt zwei Bällen! Ich mag auch, dass sich dadurch neue Musik generieren lässt ohne das man die ganze Zeit Effekte darüber matschen muss. Ich hab wirklich das Gefühl, das sich meine DJ-Sets durch die neue Technik verbessert haben.

Wie sortierst du deine Tracks?
Ich stelle für jedes Set einen neuen Ordner zusammen, der auf meinen letzten Sets aufbaut. Dazu kommt dann immer ein Ordner mit denen neuen Tracks, die ich noch nicht so gut kenne. Das sind dann vielleicht 17 oder 32 neue Stücke und bei denen schaue ich dann während eines Sets zu welchen anderen Stücken sie am besten passen. Da übernehme ich dann vielleicht wieder acht Tracks oder so für das nächste Set. So ist das ein ständiges Gemorphe. Und dazu kommt dann noch mein Archiv wo 2000 Tracks drin sind. Ich kann also immer ‘ne Mood II Swing-Nummer spielen, wenn ich Lust dazu habe.

Durch diese neue Art aufzulegen, haben sich doch bestimmt auch…
… meine Gagen nochmal erhöht. Ja stimmt (lacht)

… die Tracks verändert, die du für ein Set in Betracht ziehst.
Ja, das stimmt schon. Ich spiel’ halt weniger Tracks, die nur auf Vinyl erscheinen. Manchmal schicken mir die, die Leute trotzdem als File. Aber es kommt auch vor, dass ich eine Platte im Smallville-Laden höre, die gut finde und dann aber denke: ‚Ach ne, die jetzt extra digitalisieren…‘.

Was motiviert dich noch als DJ?
Manchmal denke ich, dass ich lieber das ganze Jahr zuhause bleiben würde. Ich verbringe ja seit Jahren immer wieder längere Zeit in Spanien und dort erscheint mir dieses Leben als DJ dann oft absurd. Da bekomme ich dann SMSen von meinen DJ-Freunden: ‚Bin auf Zwischenstop in Istanbul, gleich weiter nach Tiflis. Hart verkatert. Morgen dann Australien. In drei Tagen bin ich wieder zu Hause.‘ Wenn man mal eine Zeitlang richtig draußen ist aus diesem Zirkus, kann einem das alles schon sehr seltsam vorkommen. Aber wenn ich mich dann wieder im Strudel befinde, nette Leute treffe, gutes Essen esse und ‘ne tolle Nacht habe, dann denke ich auch oft: ‚Das ist der beste Job der Welt!‘ Wenn es gut läuft, gibt es mir etwas und auch den Leuten. Es wäre doch dekadent darauf zu verzichten, nur um zu Hause auf Sofa zu sitzen und Serien zu gucken.

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