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RÜCKSCHAU Sónar by Day (Barcelona, Juni 2014)

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Auch in seinem 21. Jahr ist das Sónar in Barcelona nicht nur eines der größten, sondern auch der musikalisch anspruchsvollsten Festivals für elektronische Musik. Und anders als auf ähnlichen Veranstaltungen finden sich viele der spannendsten Entdeckungen im Tagesprogramm. Fünf Highlights aus drei Tagen Sónar by Day vor einer Woche.

 

Despacio

James Murphy und 2manydjs (Despacio)

Einer der größten Vorteile des Sónar by Day-Festivals ist, das es tagsüber und draußen im spanischen Sommer stattfindet. Und dennoch fand die beste Veranstaltung drinnen und im Dunklen statt. Sechs Stunden lang legten James Murphy und 2manydjs an drei Tagen ab 15:30 Uhr Platten auf, in einem eigens für sie geschaffenen Raum, auf. Ursprünglich wurde ihr Club-Konzept Despacio (spanisch für langsam, sachte) für eine Party-Reihe auf Ibiza geplant. Als daraus nichts wurde, veranstalteten sie es im Rahmen des Manchester International Festivals im letzten Jahr zum ersten Mal, nun besuchen sie damit ausgewählte Großveranstaltungen. „Eine Nacht zu der wir selbst gerne gehen würden“, beschreiben die drei DJs selbst ihre Idee, in deren Zentrum ein eigens dafür gebautes 50.000-Watt-Soundsystem aus sieben Lautsprechertürmen der High-End-Audio-Firma McIntosh steht, das angeblich 250.000 Dollar kosten soll. Was Despacio so besonders machte, war jedoch nicht allein der Sound, sondern vor allem die Tatsache, dass hier – ohne eine Bar, ohne Sitzgelegenheiten, ohne spezielle Lichteffekte und ohne Blick auf die DJs – die Leute einfach nur tanzten und sich in der Musik (überwiegend langsamere Disco-Platten, aber auch aktuelle Pop-Hits wie Metronomys „Love Letters“ und Techno-Klassiker wie Carl Craigs „Throw“ ) verloren. Das die Schlangen zum Zugang des Despacio-Raums so lang waren, lag nicht nur daran, dass der Dancefloor nur Platz für ein paar hundert Leute bot – es wollte auch kaum einer wieder gehen, der erstmal drin war.

 

Unidisplay

Carsten Nicolai (SónarPlanta)

Einer der Höhepunkte von Sónar by Day war kein DJ-Set und kein Konzert, sondern die audiovisuelle Installation unidisplay von Carsten Nicolai. Nicolai, der mit seinen Projekten Alva Noto oder Diamond Version zu der Handvoll Künstlern gehört, die das Sónar Festival seit ihrer Anfangszeit begleiten, bespielte diesmal einen eigenen, schwarz verkleideten Raum. Auf einer etwa zehn Meter langen Projektionsfläche, an deren Seiten zwei Spiegel im rechten Winkel angebracht waren, wechselten sich großflächige, schwarzweiße Muster und Formen in regelmäßigen Zeitabschnitten ab, begleitet von Nicolais typisch reduzierten Klang-Patterns. Die Wirkung der Bilder wechselte zwischen irritierend und beruhigend und ergab im Festival-Kontext noch einen ganz anderen Sinn als in einer Galerie: nämlich als zeitgemäße Chill-Out-Area, als vorübergehenden Rückzugsort vom Party-Marathon.

 

Simian Mobile Disco

Simian Mobile Disco (SónarHall)

Ein Umstand der einen auch nach über zehn Sónar-Besuchen noch immer erstaunen kann, ist wie es das Festival Jahr für Jahr schafft, zehntausende von durchaus auch feierwilligen Besuchern dazu zu bringen – tagsüber, bei besten Strandwetter noch dazu – sich Musik anzuhören, für die sich bei regulären Konzerten während des Rest des Jahres nur wenige hundert Besucher finden. Die Auswahl und Vielfalt die man beim Sónar zu hören bekommt sucht – vor allem gemessen an der Größe des Festivals – nach wie vor ihresgleichen. Von den Drone-Sounds mit Streichorchester von Oren Ambarchi, den Klavierkompositionen von Nils Frahm, über die Industrial-Protagonisten von Chris & Cosey und die bassdrumlosen Tracks von Koreless bis hin zu DJ-Sets von Harvey oder Theo Parrish – die nächste Klangerfahrung ist nur wenige Meter entfernt.

Im Vergleich zu den genannten Künstlern fiel der Auftritt von Simian Mobile Disco konventionell aus und zählte trotzdem zu den Höhepunkten des diesjährigen Sónar. In der mit roten Samtvorhängen ausstaffierten SónarHall präsentierte das Londoner Duo mit Analaogsynthesizern produzierte, unveröffentlichte Tracks aus ihrem kommenden Album Whorl, die mal an frühe Warp-Platten von B12 oder Black Dog erinnerten, mal an Krautrock und Cosmic Disco und meilenweit entfernt waren von dem Maximal-House mit dem SMD einst bekannt wurden. Im Sónar by Day-Kosmos gehörte die – auch visuell beeindruckende – Show von Simian Mobile Disco zu den eingängigsten Konzerten, auf den meisten anderen House- und Techno-Festivals wäre es einer der abstrakteste und mutigsten Auftritte gewesen.

 

Lost In A Moment

Lost In A Moment (Monasterio El Poble Espanyol)

Neben dem offiziellen Programm, sind die Off-Partys fester Teil der Party-Schedule. Etwa 60 Veranstaltungen konkurrieren hier jeden Tag um das Publikum, schätzungsweise ziehen die Partys mindestens ebenso viele Besucher an, wie das Sónar Festival selbst. So vielfältig die Auswahl auch ist – dutzende Labels, etliche Clubs und Festivals und zahlreiche Medien präsentieren hier ihre eigenen Showcases darunter auch fast geschlossen die größten Stars der House- und Techno-Szene – anders als beim Sónar Festival selbst geht es den meisten DJs und Labels hier vor allem auch darum, sich selbst zu feiern und Präsenz zu zeigen. Im Vergleich zum Festival selbst sind diese Partys meist recht frei von Überraschungen, sowohl was das Line-up, als auch die DJ-Sets selbst betrifft. Auch die mittlerweile traditionelle Tagsüber-Party Lost In A Moment von Innervisions stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar (im Unterschied etwa zur Numbers-Nacht mit so unterschiedlichen Acts wie SOPHIE, Golcher Lustwerk und Hudson Mohawke). Dennoch gehörte die Innervisions-Party zu den Höhepunkten der letzten Woche. Das lag zum einen an der kaum zu toppenden Location und ihrer zum IV-Sound passenden Atmosphäre (dem auf einem Hügel gelegenen Freilichtmuseum Monasterio El Poble – nur fünf Minuten vom neuen Sónar by Day-Ort entfernt – wo auch Partys von Pampa, Cocoon und Resident Advisor stattfanden), zum anderen daran, das Dixon, Ame, Henrik Schwarz und Gerd Janson einzeln als DJs und Live-Act zu begeistern wissen, aber zusammen so eingespielt sind, dass sie es schaffen einen Spannungsbogen vom Nachmittag über den frühen Abend bis zum epischen letzten Track um kurz nach Mitternacht – Sailor & Is „Turn Around“ im Ame-Remix – zu ziehen.

 

Plastikman

Plastikman (SónarVillage)

Das die Bedeutung des Begriffs Sónar by Day dehnbar ist, machte die letzte Show des ersten Tages deutlich. Plastikman fing um 22 Uhr an, zur gleichen Zeit als Four Tet schon beim einige Kilometer entfernten Sónar by Night auflegte. Der Plastikman-Auftritt stellte schon allein deshalb eine Besonderheit dar, weil Richie Hawtin hier nicht nur zum ersten, sondern auch zum letzten Mal, in diesem Jahr sein erstes Album seit 13 Jahren, Ex, live präsentierte, begleitet von einer Visual-Show von Ali Demirel (deren Titel Objekt beim gleichnamigen Berliner Produzenten auf Misfallen stieß, der deshalb fast zeitgleich im Berliner Club Ohm unter dem Namen Hichie Rawtin auftrat). Für die Show stand Hawtin auf einer kleinen Bühne in der Mitte des Sónar-Außengeländes, neben einer Lichtskulptur in Form eines Obelisken, auf der zunächst schwarz-weiße Muster aufblitzen und die sich schießlich in eine gleißende Lava-Säule verwandeln sollte. Die neuen Plastikman-Tracks brachten, was den Sound betrifft vielleicht keine Überraschungen, aber sie erinnerten daran, warum Plastikmans Formel aus Acids-Sounds, 909-Drumpattern und düsteren Synthie-Sounds so einflussreich war und immer noch ist. Doch so beeindruckend audio-visuelle Shows von Plastikman (oder den ebenfalls mit einer neuen Show beim Sónar vertretenen Massive Attack) auch sein mögen, deutlich radikaler war dieses Jahr die Entscheidung von James Murphy und 2manydjs, riesige Produktionsbudgets nicht in immer aufwendigere Live-Shows, sondern ausschließlich in den Sound zu stecken und einen Raum zu kreieren, der einen den sonst auf Festivals allgegenwärtigen Drang ständig zum nächsten Floor oder zur nächsten Bühne zu müssen, für ein paar Stunden vergessen ließ.

 

Vielen Dank für den guten Schlaf an das Catalan Tourist Board und das Hotel chic&basic Tallers.

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