Text: Philipp Rhensius
Illustration: Martin Flesch
Erstmals erschienen in Groove 135 (März/April 2012)

Tracks zu bauen ist heute einfacher und günstiger als je zuvor, doch die bisweilen wichtigsten Kniffe der Musikproduktion wie Geduld und Disziplin stehen in keinem Handbuch. Die werden Jugendlichen seit Jahren kostenlos beim Youthville-Projekt in Detroit von Deep House-Urgestein Mike Huckaby beigebracht. Auch Dubstep-Pionier Mark Lawrence alias Mala von den Digital Mystikz hat von 2000 bis 2007 als sozial engagierter Mentor bei einem Workshop in London mitgewirkt. Die beiden Künstler im Gespräch über ihre Lehrtätigkeit und das kreative Gleichgewicht zwischen Hausaufgaben und Beats.

Ich kann mir vorstellen, dass soziale Projekte wie eure gerade in Städten wie London und Detroit mit ihren hohen Kriminalitätsraten für Jugendliche enorm wichtig sind. Worin besteht eurer Meinung nach die zentrale Bedeutung dieser Arbeit?

Mala: Ich denke, dass es heute für junge Leute generell nicht viel zu tun gibt, wenn sie aus der Schule kommen. Sie benötigen aber Treffpunkte wie diese Workshops, einfach nur um zu spüren, dass es jemanden gibt, der sich für sie interessiert. Die meisten meiner Schüler kamen aus schwierigen Verhältnissen und alles, was sie wollten, war ein Ort, zu dem sie gehen und sich entwickeln können.

Mike Huckaby: Ich kann dir nur zustimmen. Es scheint oft so, als sei ich für einige Kids die einzige Person, die ihnen überhaupt mal etwas Positives sagt. Es ist essenziell, sie zu bestärken, zu motivieren und zu loben. Manchmal auch nur für die simpelsten Dinge, wie einfach nur zu erscheinen.

M: Die Kids werden heute aber auch sehr schnell erwachsen.

MH: Ja, viele sind zwar erst zehn oder elf, aber haben schon wirklich viel durchgemacht. Und dann diese ganze Gehirnwäsche! Es gibt zu viele negative Bilder, zu viel Schmuck, zu viel Gold, zu viele Drogen, zu viele Gangs, zu viele materialistische Einflüsse. In einem Video von Lil Wayne ist doch eigentlich immer Sommer, du siehst irgendeinen Swimmingpool, teure Autos und goldene Uhren.

M: Die Kids wollen mit dir auch nicht über die Schule oder so sprechen, sondern über Geld.

MH: Ja, genau! Ein Schüler wollte unbedingt seine Beats verkaufen, er war elf Jahre alt. Aber ich kann das Pferd nur zum Wasser leiten, trinken muss es schon selbst. Ich sagte zu ihm: Niemand kennt dich und niemand wird dich bezahlen, geschweige denn deine Beats veröffentlichen, gerade in deinem Alter. Viele wollen nur den schnellen Erfolg und sofort hunderttausend Dollar für einen Beat.

Was ist denn eigentlich das Wichtigste, das ihr den Jugendlichen beibringt?

MH: Disziplin. Wenn es innerhalb der Klasse keine Disziplin gibt, dann lässt sie sich auch nicht unterrichten. Du musst da wirklich sehr strikt sein, ansonsten tanzen dir die Kids auf der Nase herum. Eigentlich unterrichtest du ohnehin so gut wie gar nicht, du bringt den Kids mehr Disziplin als Musik bei. Ich musste schon viele Schüler hinauswerfen. Wichtig ist aber die Balance, denn wenn du zu streng bist, kommt niemand mehr.

M: Viele Kids in meinem Workshop sind aus der Schule geflogen. Jeder hat oft ganz eigene Probleme und du musst individuell herausfinden, was sie interessiert. Es ist ein großes Defizit der Mainstream-Bildung, dass sie nicht die Ressourcen hat, um auf jeden individuell einzugehen.

MH: Es ist ja schon bemerkenswert, dass die Kids überhaupt zu meinem Workshop kommen. Nach der Schule machen die doch wirklich die verrücktesten Sachen. Sie haben mit elf Jahren bereits Sex, sprechen von Blowjobs und rauchen Gras. Die Kids sind nicht dumm. Wenn sie merken, dass sie mit dem Produzieren vorankommen, sehen sie vielleicht, dass sie auch mit ihren Hausaufgaben Erfolg haben können.

Habt ihr das Gefühl, bei den Jugendlichen etwas erreicht zu haben, und inwiefern spielt die Musik dabei eine Rolle?

M: Für viele Kids ist Musik wichtig, um ausdrücken zu können, was sie fühlen. Es ging auch darum, ihnen zu zeigen, wie sie die negative Energie positiv kanalisieren können. Viele meiner Kids kamen aus zerrütteten Familien und lebten von Sozialhilfe. Das ist unfair, aber die Welt schuldet ihnen trotzdem rein gar nichts. Man hat es selbst in der Hand, etwas aus sich zu machen.

MH: Es geht nicht darum, den nächsten Newcomer-Produzenten zu unterrichten. Das Ziel ist vielmehr, ein kreatives Gleichgewicht zu halten zwischen Hausaufgaben und Beats machen. Ein brillanter Produzent ist noch lange kein gutes Mitglied dieser Gesellschaft. Alle Kids zwischen 11 und 19 Jahren haben doch heute die gleichen Probleme. Du musst diesen Teufelskreis durchbrechen und ihnen dabei helfen, zu produktiven Mitgliedern dieser Gesellschaft zu werden.

M: Es war für mich immer ein großer Erfolg, dass die Kids, die bisher nie etwas in ihrem Leben erreicht hatten, regelmäßig erschienen sind und konzentriert gearbeitet haben. Nur so kann man sich wirklich verändern und etwas verbessern. Es ist ein hartes Leben da draußen, aber egal wie klein der Einfluss auch sein wird, er bleibt immer positiv. Das ist es, was viele Leute heute immer wieder vergessen.

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