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FREISTIL November/Dezember 2011

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Plötzlich ergibt sich ein zweites Mal in 2011 dieser Moment, in dem man ein bestimmtes Stück Musik nicht mehr loslassen möchte. Das erste Mal war es „The Wilhelm Scream“ von James Blake im Januar, nun will „Hey Sparrow“ von den Peaking Lights Kopf und Plattenspieler nicht mehr verlassen: diese süßliche Melodie, gepaart mit dem Lo-Fi-Sound vom Knöpfchendrehen am Kurzwellenradio im Hintergrund und der durch zahllose ältere Transistoren gespielten Gitarre von einem der großartigsten Alben des Jahres,  9 3 6  (Not Not Fun/Weird World). Hinter dem Namen Peaking Lights findet man das in Wisconsin lebende Paar Aaron Coyes und Indra Dunis, man achte auf die Initialen der Vor- und Nachnamen, und schon bekommt man eine Idee von der Inspiration der beiden. Krautrock, Dub und Reggae, Indiepop, ein bisschen Disco ist auch immer dabei, wenn auch eher im Sinne von Arthur Russell. Abgeschmeckt mit einem dicken Löffel von Minimalismus und Wiederholung in Form von Loops. Aaron Coyes ist ein Schrauber vor dem Herrn, und sein Steckenpferd sind alte portable Transistorradios oder Verstärker, die dann in ihre Einzelteile zerlegt oder eben durchprobiert werden, mit angeschlossener Gitarre oder seiner ganz eigenen Art von Synthesizern. Ein Freak, der zusammen mit seiner Partnerin Indra und Nachwuchs die Bay Area mit dem eher unhippen Wisconsin getauscht hat. Dort im Keller ihres Hauses, oder auch mal auf dem Sofa, entstehen diese sehr eigenen, weit weg und doch sonderbar einnehmend klingenden Songs, die gesamte LP erinnert an Hippietum und Lässigkeit. Weg vom Trubel einer Metropole und doch auch genau für die Nächte in diesen gemacht. Keine reine Tanzplatte, nein, aber „All The Sun That Shines“ könnte auch gut auf den Afterhour-Floors der einschlägig bekannten Strände dieser Welt laufen.


Stream: Peaking LightsHey Sparrow

 

Und dazu passend dann nach dem Barfuß-Tanzen der ganz ähnlich beeinflusste Sound des jungen Australiers Jonti, den Peanut Butter Wolf nach dem Hören der ersten Demos vom Fleck weg für Stones Throw unter Vertrag nahm. HipHop-Beats treffen auf Free Design oder Stereolab, eine gehörige Prise Madlib und eine Soundästhetik sowie Gesang Marke Beach Boys. Das Album
T w i r l i g i g  (Stones Throw) besticht durch seine sehr professionell arrangierten Songs und Instrumentals, von denen kaum einer die Drei-Minuten-Marke überschreitet. Besonders hervorzuheben ist das verträumte „Batmilk“, das eine Siebziger-Jahre-Wohlfühl-Melodie mit Gitarre, Weckerklingeln und einer Art elektronischem Vogelgezwitscher verbindet. Detailverliebte Popsongs mit zahlreichen Retro-Referenzen in Sound und Komposition und doch ganz im Hier und Jetzt verwurzelt.


Stream: JontiHornet’s Nest

 

Bisher noch nicht unter Vertrag genommen ist die in London lebende DIY-Künstlerin Tanya Auclair. Hört man sich ihre allesamt in kompletter Eigenregie aufgenommenen EPs „Thrum“ und „Origami“ an, dürfte es aber nicht mehr lange dauern, und die charismatische One-Woman-Band-Show zieht ihre Kreise über den Globus und wird noch mehr mit Leuten wie Charlie Dark, Matthew Herbert oder Andreya Triana zusammenarbeiten. Auf der Bühne erarbeitet sie ihre Songs, gleich einem Jahrmarktsgaukler, aus dem Koffer heraus, in dem sich eine Ukulele, eine Gitarre, diverse Percussion und eine Loop-Station für ihre Stimme befinden. Die Musik selbst lässt sich schwer beschreiben. Avantgardistisch komplex und melodiös zugleich, übliche Song- und Rhythmusstrukturen auch gern mal aufbrechend, schrauben sich die Stücke langsam in die Gehörgänge. Alles keine allzu leichte Kost, die des Hörers gesamter Aufmerksamkeit bedarf.

 

Wer lieber gleich tanzen möchte, dem seien die folgenden Vinyls auf den 1210er gelegt: der unglaublich gute Disco-Remix von Filippo Moscatello für Jazzanovas „I Can See“ (Wurst), Mr Scruffs „Feel It/Bounce“ (Ninja Tune), die „Hit It & Quit It Radio Revue Vol. 1“ (Fingertips) von den neuseeländischen Radiomachern Recloose und Frank Booker, und das Original zu Nicolas Jaars sehr gutem Bluewave-Edit „What My Last Girl Put Me Through“ (Wolf+Lamb Black), nämlich Mike And The Censations „There’s Nothing I Can Do About“ (Luv’n’Haight), ein Soulsong wie aus dem Sunday-Service-Bilderbuch. Und auch Mayer Hawthornes zweites Album  How  Do  You  Do?  (Universal Republic) birgt schöne Soulmusik, wenn auch quer in den Gärten von Hall & Oates, Smokey Robinson, den Doobie Brothers oder dem Electric Light Orchestra zusammengesammelt. Kommt eben immer darauf an, was man daraus dann macht.


Stream: Mr ScruffFeel It/Bounce

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