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Freistil

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Statt mit Hotze im Studio Platten anzuhören wie Kollege Reinboth letztes Mal an dieser Stelle, war ich mit dem gemischten Stapel an Alben und Tracks für diese Kolumne im Surfcamp. Entspannt und zurückgelehnt, ohne jeglichen Internetanschluss oder Telefon. Wäre für Hotze auch mal ganz gut, es sei denn, er ist immer noch am Tanzen, dann tausche ich ihm hier mal heimlich seine Plattentasche aus mit Empfehlungen zum Runterkommen vom strikten Diktat des 4/4-Beats. Die Lieblingsplatte des Sommers kommt aus Kalifornien, aus dem fast magischen Wirkungskreis um Miguel Atwood-Ferguson und Carlos Niño: „Into The Sky“ (Porter) vom Build-An-Ark-Bandmitglied <b>Nick Rosen</b>. Üppige Streicherarrangements, Klavier, Harfen, akustische Gitarren und Jazz treffen auf Folk und tolles Songwriting. Am besten zu hören bei „Ancestral Echoes“ oder dem mit Chor angereicherten Hippiesong „For People“. Für den Morgen und die Ewigkeit. Etwas freier und vielleicht mehr für die frühen Nachtstunden geeignet ist das sehr gelungene Aufeinandertreffen der <b>Heliocentrics</b> mit dem Altmeister des Orientaljazz, Lloyd Miller (Strut). Hotze auf bewusstseinserweiterndem Trip durch den Orient, ab und an wippt er schon mit dem eher vertrackten Beat oder macht mal Yoga auf höchstem Niveau ohne Klischeevorurteile. Und springt gleich weiter nach Südafrika, <b>Hugh Masekela</b> wartet dort auf einer sehr schönen, seltsamerweise von Till Brönner präsentierten, aber von Götz Bühler und Douglas Payne zusammengestellten Best Of (Verve). Das eine oder andere Sample wird hier nun endlich seinem Urheber zugeordnet, und obendrauf gibt es nach langer Zeit einen brillanten Remix des vielleicht bekanntesten Masekela-Songs, „Stimela (Coal Train)“. Eine erneut erstklassige Sammlung bisher unveröffentlichter Tanzperlen, diesmal aus Westafrika, mit dem title Afro-Beat Airways (Analog Africa) wird gleich mitgenommen auf der Reise nach Kolumbien. Palenque Palenque (Soundway) fordert gnadenlos zum Tanzen auf, hier wird die Geschichte der dort „Picos“ genannten Soundsystems erzählt, die afrikanische und karibische Musik mit kolumbianischen Hits mischten und so „Champeta“ ins Leben riefen. Eine schweißtreibende Mischung, hier mal auszugsweise von 1975 bis 1991. Angekommen in Cali, entspannt Hotze nun bei Will Holland, der ihm erstmal zur Entspannung sein <b>Flowering Inferno</b> vorspielt. „Dog With A Rope“ (Tru Thoughts) basiert auf Cumbia, Will schmeißt noch Reggae und schwere Bässe dazu, und das Urlaubsgefühl stellt sich endlos ein. „Cumbia Sobre El Mar“ auf Dauerrotation. Aber irgendwann muss jeder wieder nach Hause, diesmal mit Zwischenstopp in New York, dort gedieh in der Nuyorica-Gemeinde der Latinos in den siebziger Jahren die Fania-Familie. Salsa Explosion – New York’s Salsa Revolution 1969-1979 (Strut) ist ein patenter Einstieg in die Welt der Willie Colons, Tito Puentes, Ray Barrettos und Hector Lavoes, letzterer Onkel eines gewissen Louie Vega. „Ah ja“, denkt sich nun Hotze, „den kenne ich doch auch von diversen endlosen Nächten auf Mykonos!“ Aber nicht Griechenland, sondern Paris ist der Transit nach London. Letztes Mal spielte Reinboth ihm schon etwas aus der Eiffelturm-Metropole von Jerome Caron vor, dieses Mal wendet er sich mehr dem Reggae und Dub zu, zusammen mit <b>Blundetto</b>, Chico Mann, Shawn Lee und auch Tommy Guerrero schwingen sich die Downbeats schwer und tief in die Knie, mitnichten sind das „Bad Bad Things“ (Heavenly Sweetness), sondern erstklassig im Sound gereifte Drums und Bässe. In London angekommen, wird Hotze nun von Dom „Speedy“ Servini gleich mitgenommen, um die Album-Launchshow von Soulsängerin <b>Stac</b> zu sehen. Und zu hören, Turn That Light Out (Wah Wah 45s) überzeugt mit einer Mischung aus Soul, Folk, Reggae und südamerikanischen Einflüssen plus den Mitwirkenden wie Ausnahme-Trompeter Matthew Halsall, Part Time Heroes, dem Heritage Orchestra, der Hackney Colliery Band, dessen Brassversion von Diana Ross’ „I’m Coming Out“ bereits das Warten auf den Auftritt verkürzte, und Produzent Scrimshire und Nostalgia 77. Hotze wird schwindelig, lernt er so doch auf einen Schlag einen Großteil der Leftfield-Szene Londons kennen – und findet langsam Gefallen an den vielseitigen Facetten, die diese Freestyle-Community rund um die Welt zu bieten hat.<br/><br/>

Das hat Hotze, der versteckt ein paar Café Del Mar-CDs zum Chillen zu Hause hat, beim besten Willen nicht erwartet. Als Abschiedsgeschenk gibt ihm Servini als Soulliebhaber noch das neue <b>Aloe-Blacc</b>-Album Good Things (Stones Throw) mit auf die Rückreise nach Frankreich, da lernt er gleich, dass man mit der richtigen Attitüde 2010 auch Zitiertes, nämlich den Independentsoul der siebziger Jahre Marke Shuggie Otis und Donny Hathaway, erstklassig rüberbringen kann. Vielleicht sogar Hotzes Platte des Jahres? Und um nicht das immer noch große Missverständnis seitens der House- und Technogemeinde den Freestyle-Protagonisten gegenüber („Ihr spielt doch diese tolle Chillout- und Loungemucke, mag ich auch ganz gern, aber auf dem großen Floor muss es schon knacken.“) zu nähren, hier noch eine Platte, die nicht nur bei den einschlägigen Partys für Ekstase sorgen wird: „Donso“ (Comet). Um Musik vorwärts zu bringen, muss man auch mal Risiken eingehen und Stile mischen, die bisher nicht viel gemein hatten. <b>Donso</b> verbinden Elektronik, Afrobeats, Pop und traditionelle Musik aus Mali zur bisher frischesten Mischung 2010.

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