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Electronica

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Gleich zu Beginn ein echter Kracher: Tarot Sport (ATP/Indigo), das zweite Album der Fuck Buttons aus Bristol/UK. In erster Linie sind sie eine Liveband, und wenn ein Album aufgenommen wird, holen sich Andrew Hung und Benjamin John Power einen kongenialen Produzenten ins Boot, der die popeen bündelt: zuletzt John Cummings von Mogwai. Bei Tarot Sport saß Andrew Weatherall an den Reglern, und natürlich geht die Rechnung auf: „Surf Solar“, der zehnminütige Opener, dehnt und schreddert ein (Jackson?)-Stimmsample, lässt wummernde Tribal-Drums von der Leine und legt bei der Reise ins loopende Nirvana immer noch ein Schippchen drauf. Tarot Sport ist ein großes Flackern und Brodeln, das nie langweilig wird, ganz im Gegenteil: So vertont man Euphorie und Ekstase und bringt am Ende alle zum Tanzen. Wenn da nur nicht das selbst entworfene Artwork wäre, das aussieht wie der Einladungsflyer zu einem Goa-Rave im Spessart.
Von der großen Bühne hin zu leiseren Bezirken: Lokai – das sind der Gitarrist Florian Kmet und Stefan Nemeth von Radian – legen mit Transition (Thrill Jockey/Rough Trade) eine elektroakustische Platte vor, die geschickt mit den Parametern Raum und Ereignisdichte verfährt. Jedem Klang bleibt so viel Platz, wie er zur Entfaltung braucht. Gitarre, Fender Rhodes, Metallobjekte, Glockenspiel und ein brummender Heizkörper: So viele Instrumente sind das auf dem Papier eigentlich gar nicht, aber in manchen Momenten lassen Lokais Arrangements ein richtiges Orchester entstehen. Auch bei Always Breathing Monster (Mosz/Groove Attack) des September Collective spielt das Setting die Hauptrolle: Barbara Morgenstern an der Kirchenorgel, zusammen mit Stefan Schnepoper und Paul Wirkus. Die Orgel der Johanneskirche zu Düsseldorf wurde mit MpopI-Daten gefüttert, wir hören Noten und Akkorde, aber natürlich auch knarzende Pedale, Register und den Blasebalg. Es passiert ja eher selten, dass dieser Elefant von einem Instrument aus dem Koncontent:encoded entführt und neu definiert wird, umso faszinierender sind diese – dezent weihnachtlichen – Aufnahmen.
In ähnlicher Stimmung geht es weiter, auch wenn die Musik ganz anders klingt: Airborne (n5MD/Cargo) von Rasmus Rasmussen alias Aerosol, der vor Jahren zusammen mit Manual bei Limp gespielt hat, ist ein tolles Album. Klassische Electronica, vier Akkorde pro Track, Akustikgitarre und wunderbare Pads. Die Referenzen sind ganz klar: Shoegaze und die Cocteau Twins. Da kann man nie genug von kriegen. Wie auch von groovigen Jazz-Dekonstruktionen. Vor Jahren waren Flanger die Champs auf diesem Gebiet, heute sind es auf jeden Fall Badun. Auf Last Night Sleep (Mindwaves/Rough Trade) lässt es das dänische Trio seriöser angehen als auf ihrem Debüt: weniger Beats, mehr Weather Report. „Schade eigentlich“, denkt man zuerst, drückt aber immer wieder auf Repeat – viel zu viele verschmitzte Details, die es da mal wieder zu entdecken gilt. Mit dem diskreten Charme des Fehlerhaften spielt dagegen Anne Laplantines neues Album A Little May Time Be (Ahornfelder /A-Musik). Ihr Markenzeichen sind sorgfältig arrangierte Songminiaturen mit Samples von Flöte, Gitarre, einer Drumbox und hin und wieder auch Gesang. Manchmal überlässt Laplantine die Musik aber komplett sich selbst, dann klingt sie wie ein von Geisterhand gespieltes Reproduktionsklavier: ein verblüffender Effekt. Zwischen den Stücken finden sich kurze Outtakes und scheinbare Leerstellen, die in Wirklichkeit die Sekunden vor oder nach der Aufnahme eines Songs dokumentieren: Momente der Vorbereitung und des Innehaltens von Musik, die dem Konsumenten normalerweise vorenthalten werden. Laplantine verwandelt den editorischen Faux-Pas in ein dramatisches Element, und den Hörer in einen neugierigen Menschen.

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