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Blue Potential

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Eine laue Sommernacht am Pont du Gard in Südfrankreich 2005, in der zunächst die Begeisterung des Orchesters für das Millssche Schauspiel nicht eindeutig zu sein scheint. Die Suche nach neuen Klangfarben im Millsuniversum ist nicht leicht zu kollektivieren. Was sind die Grenzen der elektronischen Musikimitation? Produziert Klassik tatsächlich mehr Obertöne, die ein Computer und ein Synthesizer, also die Maschinen nicht erzeugen können? Für Mills hat es nie eine Kluft zwischen den Genres gegeben, wie er auf der Pressekonferenz erzählt. Doch im Mittelpunkt des Experiments steht Thomas Rousell, ein Komponist, der die stumpf-dröhnende Seite elektronischer Musik in ihrer rhythmischen Präzision fasziniert und diese mit der Tiefe klassischer Musik verbinden möchte. Überhaupt ist die Schnittstelle zeitgenössische Filmmusik. Interessant ist daher, wie elektronische Musik in Partituren übertragen wird und welche Rolle Jeff Mills in diesem Prozess einnimmt. Ist er Animateur, Arrangeur oder einfach nur Klassikliebhaber?
Zunächst ist viel Wind zu sehen, der extra angefertigte Dokumentarfilm spielt mit der Spannung, dass dem Konzert die Absage droht. Es ist das erste Live-Konzert von Jeff Mills nach Underground Resistance. Es gibt in allen Tracks Rhythmusvariationen, weil das Orchester Passagen der Tracks eigenständig neu interpretiert. Es ist also keine Kopie der Tracks oder eine an Rondo Veneziano nachempfundene Untermalung, sondern tatsächlich ein Neu-Arrangement, in der allein die poetische Öffnung, das Gedicht vor dem Sound eine Kitschwolke erzeugt; Mills spricht von Blue Potential als sich im Wasser spiegelnde Punkte des Sternenhimmels, die erahnen lassen könnten, woher wir, die Menschheit, kommen.
Die DVD bietet da ganz andere Impressionen: Es sind Bilder, die wir aus den Konzertübertragungen auf 3 Sat und Arte kennen. Das Schuss-Gegenschuss-Prinzip gigantischer Großereignisse: Mills an der 808, dann eine Schar Violinistinnen, wieder Mills, diesmal an den Beatboxen, dahinter die Halbtotale, ein locker-grinsend aufspielendes Orchester, Nahaufnahme Dirigent, Schnitt: Frenetischer Jubel des Publikums, immer dann, wenn Bässe aufheulen. Doch nach einer Weile sind die ästhetischen Probleme der visuellen Auflösung vergessen, weil eine eigentümliche Verzauberung entsteht. Einige Tracks verlassen die elektronische Umlaufbahn, erlangen eine solche Präzision und Tiefe, etwa „Gamma Player“, dass nicht nur Adornosche Gedanken der Versöhnung durch 12-Ton Musik aufblitzen, sondern die filmische Vision der Detroitwelt sich zu verwirklichen scheint. Und weil die performativen Elemente rar gesät sind, ist der Hüftschwung des Dirigenten Alain Altinoglu ein sehr imposantes Bild, weil diese alltägliche Club-Bewegung sein Dirigieren irritiert. Mills fügt Percussion und Drum Machine-Klänge hinzu, die ein Orchester nicht nachempfinden kann. Eine sehr reduzierte aber trotzdem hörbare Improvisation. Nur weil Flöten und Strings umgeschrieben werden, live erklingen, muss elektronische Musik nicht seine Kraft verlieren, auch wenn Techno, erstmal in eine Orchesterform gebracht, seine proletarische Basis zu verlieren droht, weil Kirmesgewummer tatsächlich eine unerträgliche Kontrastwelt zur Technosinfonie in Moll wird.

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